Schulen sind mehr als der Ort, an dem Kinder täglich Neues lernen: Sie sind Teil eines lokalen Umfelds, in dem zum einen vielfältige soziale Strukturen und Herausforderungen aufeinandertreffen und zum anderen Ressourcen vorhanden sind, die für die schulische Arbeit genutzt werden können. Insbesondere an Grundschulen ist die Orientierung am Sozialraum wichtig, da die meisten Kinder im Primarbereich Schulen in ihrem Wohnumfeld besuchen.
Der Begriff Sozialraum ist vielschichtig und umfasst bauliche Gegebenheiten, die Angebotslandschaft des Stadtteils sowie die sozialen (Herkunfts-)Merkmale und Lebensrealitäten der Familien. Gleichzeitig ist der Sozialraum vor allem auch Interaktions- und Handlungsraum unterschiedlicher Menschen und Institutionen (Forell, 2023, S. 16 ff.). All das hat einen Einfluss auf den Schulalltag, weshalb Schulen nicht als abgeschottete Orte des Lernens, sondern als Sozialraum im Sozialraum gesehen werden sollten.
Vertraut mit der Umgebung – bessere pädagogische Arbeit
Informationsbasis schaffen und Sozialraum kennenlernen
Damit Schulen den Sozialraum besser verstehen, empfiehlt sich zunächst eine Analyse. Dafür gibt es unterschiedliche Methoden: Für einen ersten Gesamtüberblick helfen quantitative Daten wie Kommunalstatistiken oder Schulsozialindizes. Sie geben beispielsweise Aufschluss darüber, wie viele Familien mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende oder Transferleistungsempfängerinnen und -empfänger im Umfeld leben. Es lohnt sich außerdem, die Erfahrungen und Perspektiven von verschiedenen Professionen einzuholen und im multiprofessionellen Team zu diskutieren. Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter etwa haben meistens detaillierte Kenntnisse über den Sozialraum.
Man kann aber auch über Fotos von Wohnquartieren oder Stadtteilerkundungen mit Kolleginnen und Kollegen, Eltern und Kindern einen umfassenderen Eindruck über die Lebenswelten vor Ort erhalten. Je mehr Daten, Informationen und Perspektiven gesammelt werden, desto reichhaltiger wird die Analyse und damit das Verständnis für das Umfeld der Schule.
Mit dem Sozialraum in Kontakt kommen und Beziehungen aufbauen
Anschließend gilt es, sich als Schule stärker in dem Sozialraum zu verankern. Dazu gehört die Öffnung für die Familien der „eigenen“ Kinder, aber auch für alle Menschen des Sozialraums, um Schule als offenen Ort erlebbar zu machen. Schlüssel sind dabei niedrigschwellige Zugänge und Angebote, die Hürden abbauen und Beziehungen aufbauen. Hier gibt es viele Möglichkeiten:
- Offene Angebote wie Elterncafés oder Eltern-Kind-Veranstaltungen in der Schule bieten Möglichkeiten zum anlassfreien Austausch.
- Schulfeste oder Freizeitprogramme, aber auch Beratungsangebote zu speziellen Themen sorgen für mehr Sichtbarkeit.
- Schulen können ihre Turnhalle für außerschulische Sportangebote oder Veranstaltungen bereitstellen.
- Schulen können in Geschäften und an anderen Orten für ihre Angebote und Programme werben. Dort also, wo sich viele Menschen des Einzugsgebietes aufhalten.
Zum anderen ist es wichtig, dass sich Schulen als aktive Partner in ihrem Sozialraum vernetzen, um Ressourcen für die Unterstützung der eigenen Arbeit zu akquirieren. Beispiele:
- Die Schaffung eines Überblicks über Angebote etwa von freien Trägern der Jugendhilfe, Vereinen oder zivilgesellschaftlichen Akteuren bietet eine Grundlage für Kontaktaufbau und Kooperation.
- Kooperationspartnerinnen und -partner können in Schulen eingeladen werden, damit sie Angebote vorstellen und gegebenenfalls auch dort durchführen – zum Beispiel Erziehungsberatung oder Therapie.
- Kooperationen mit anderen Bildungseinrichtungen wie Kitas verbessern die Gestaltung von Übergängen.
- Eine aktive Beteiligung an kommunalen Gremien und Arbeitskreisen ermöglicht die Vermittlung von schulischen Bedarfen und fördert die Vernetzung.
So steht es auch in der Beschlussvorlage zum Startchancen-Programm beschrieben: „Kooperationen auf kommunaler Ebene sollen gezielt gestärkt werden, um die Startchancen-Schulen fest im Sozialraum zu verankern.“ Denn so viel ist klar: Damit junge Menschen wirklich einen chancenreichen Start ins Leben haben, bedarf es eines ganzen Umfeldes, das mitzieht.
Philipp Hackstein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Seit Oktober 2024 ist er Teil des Forschungsverbundes, der das Startchancen-Programm wissenschaftlich begleitet.
Literatur
- Forell, M. (2023). Zur theoretischen Verfasstheit des schulischen Sozialraums. Kartierungen sozialräumlicher Dimensionen von Schule. In M. Forell, G. Bellenberg, L. Gerhards & L. Schleenbecker (Hrsg.), Schule als Sozialraum im Sozialraum: Theoretische und empirische Erkundung sozialräumlicher Dimensionen von Schule (S. 13–26). Waxmann.
- Hackstein, P., Micheel, B. & Stöbe-Blossey, S. (2023). Familiengrundschulzentren im Sozialraum. Gelingensbedingungen für eine kontextsensible Zusammenarbeit zwischen Grundschule und Familie. In M. Forell, G. Bellenberg, L. Gerhards & L. Schleenbecker (Hrsg.), Schule als Sozialraum im Sozialraum: Theoretische und empirische Erkundung sozialräumlicher Dimensionen von Schule (S. 97–108). Waxmann.
Eine Antwort
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