Sozialraumorientierung

Gemeinsam stark

Schulen sollten sich fest im Sozialraum verankern, empfiehlt Bildungsforscher Philipp Hackstein. Im Gastbeitrag gibt er Tipps, wie das gelingen kann.

Schulen sind mehr als der Ort, an dem Kinder täglich Neues lernen: Sie sind Teil eines lokalen Umfelds, in dem zum einen vielfältige soziale Strukturen und Herausforderungen aufeinandertreffen und zum anderen Ressourcen vor­handen sind, die für die schulische Arbeit genutzt werden können. Insbe­sondere an Grundschulen ist die Orientierung am Sozialraum wichtig, da die meisten Kinder im Primar­bereich Schulen in ihrem Wohnumfeld besuchen. 

Der Begriff Sozialraum ist vielschichtig und umfasst bauliche Gegebenheiten, die Angebots­landschaft des Stadtteils sowie die sozialen (Herkunfts-)Merkmale und Lebensrealitäten der Familien. Gleichzeitig ist der Sozialraum vor allem auch Interaktions- und Handlungsraum unterschiedlicher Menschen und Institutionen (Forell, 2023, S. 16 ff.). All das hat einen Einfluss auf den Schulalltag, weshalb Schulen nicht als abgeschottete Orte des Lernens, sondern als Sozialraum im Sozialraum gesehen werden sollten.

Schulen sind laut Philipp Hackstein ein „Sozialraum im Sozialraum“. Als solcher gehören die Kinder mit ihren Familien dazu. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Lukas Schulze

Vertraut mit der Umgebung – bessere pädagogische Arbeit

Sich dessen bewusst zu sein bringt viele Vorteile: Die Verankerung als Schule im Sozialraum ist eine Basis für wichtige Schulentwicklungs­aufgaben – wie zum Beispiel die Stärkung der Bildungs- und Erziehungs­partnerschaft mit Familien (u. a. Hackstein et al., 2023). Wer die Ange­bote und Gegebenheiten im Wohnumfeld der Kinder kennt und mit den Familien und ihren Lebensrealitäten vertraut ist, kann seine pädagogische Arbeit besser danach ausrichten. Auch ist es dann leichter, sich gezielt mit dem Umfeld zu vernetzen und so langfristige Strukturen für Kooperationen aufzubauen, die den Kindern und ihren Familien zugute­kommen.

Informationsbasis schaffen und Sozialraum kennenlernen

Damit Schulen den Sozialraum besser verstehen, empfiehlt sich zunächst eine Analyse. Dafür gibt es unterschiedliche Methoden: Für einen ersten Gesamt­überblick helfen quantitative Daten wie Kommunal­statistiken oder Schulsozial­indizes. Sie geben beispielsweise Aufschluss darüber, wie viele Familien mit Migrations­hintergrund, Allein­erziehende oder Transferleistungs­empfängerinnen und -empfänger im Umfeld leben. Es lohnt sich außerdem, die Erfahrungen und Perspektiven von verschiedenen Professionen einzuholen und im multi­professionellen Team zu diskutieren. Schulsozial­arbeiterinnen und Schulsozial­arbeiter etwa haben meistens detaillierte Kenntnisse über den Sozialraum.

Man kann aber auch über Fotos von Wohnquartieren oder Stadtteil­erkundungen mit Kolleginnen und Kollegen, Eltern und Kindern einen umfassenderen Eindruck über die Lebenswelten vor Ort erhalten. Je mehr Daten, Informationen und Perspektiven gesammelt werden, desto reichhaltiger wird die Analyse und damit das Verständnis für das Umfeld der Schule.

Was bieten Einrichtungen und Organisationen in der Umgebung an? Mit ihnen zu kooperieren verankert die Schulen stärker in ihrem direkten Umfeld. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Ob Schulhof oder Turnhalle: Schulen können Bereiche für außerschulische Sportangebote oder Veranstaltungen bereitstellen – das hilft der Vernetzung. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda

Mit dem Sozialraum in Kontakt kommen und Beziehungen aufbauen

Anschließend gilt es, sich als Schule stärker in dem Sozialraum zu verankern. Dazu gehört die Öffnung für die Familien der „eigenen“ Kinder, aber auch für alle Menschen des Sozialraums, um Schule als offenen Ort erlebbar zu machen. Schlüssel sind dabei niedrig­schwellige Zugänge und Angebote, die Hürden abbauen und Beziehungen aufbauen. Hier gibt es viele Möglichkeiten:

  • Offene Angebote wie Elterncafés oder Eltern-Kind-Veranstaltungen in der Schule bieten Möglich­keiten zum anlassfreien Austausch.
  • Schulfeste oder Freizeitprogramme, aber auch Beratungsangebote zu speziellen Themen sorgen für mehr Sichtbarkeit.
  • Schulen können ihre Turnhalle für außerschulische Sportangebote oder Veranstaltungen bereitstellen.
  • Schulen können in Geschäften und an anderen Orten für ihre Angebote und Programme werben. Dort also, wo sich viele Menschen des Einzugs­gebietes aufhalten.


Zum anderen ist es wichtig, dass sich Schulen als aktive Partner in ihrem Sozialraum vernetzen, um Ressourcen für die Unterstützung der eigenen Arbeit zu akquirieren. Beispiele:

  • Die Schaffung eines Überblicks über Angebote etwa von freien Trägern der Jugendhilfe, Vereinen oder zivilgesellschaftlichen Akteuren bietet eine Grundlage für Kontaktaufbau und Kooperation.
  • Kooperationspartnerinnen und -partner können in Schulen eingeladen werden, damit sie Angebote vorstellen und ge­gebenenfalls auch dort durch­führen – zum Beispiel Erziehungsberatung oder Therapie.
  • Kooperationen mit anderen Bildungseinrichtungen wie Kitas verbessern die Gestaltung von Übergängen.
  • Eine aktive Beteiligung an kommunalen Gremien und Arbeitskreisen ermöglicht die Vermittlung von schulischen Bedarfen und fördert die Vernetzung.


So steht es auch in der Beschluss­vorlage zum Startchancen-Programm beschrieben: „Kooperationen auf kommunaler Ebene sollen gezielt ge­stärkt werden, um die Startchancen-Schulen fest im Sozialraum zu ver­ankern.“ Denn so viel ist klar: Damit junge Menschen wirklich einen chancenreichen Start ins Leben haben, bedarf es eines ganzen Umfeldes, das mitzieht.

Foto: © Philipp Hackstein

Philipp Hackstein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni­versität Duisburg-Essen. Seit Oktober 2024 ist er Teil des Forschungsverbundes, der das Startchancen-Programm wissenschaftlich begleitet.

Literatur

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