Frau Weßels, Sie beschäftigen sich intensiv mit der Nutzung von künstlicher Intelligenz im Schulkontext. Was kann KI hier leisten?
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Doris Weßels: Der Klassiker ist, dass Lehrkräfte die KI-Tools für die Unterrichtsvorbereitung nutzen, etwa um Arbeitsblätter zu erstellen. Ein weiteres Einsatzgebiet, das häufig genannt wird, ist die Unterstützung bei der Formulierung von Elternbriefen. Die Möglichkeit, unterschiedliche Tonalitäten, Sprachen und Sprachniveaus zu wählen, kann vor allem für Lehrende an Schulen im Brennpunkt mit ihrer oft mehrsprachigen Elternschaft enorm hilfreich sein. Sehr viel Potenzial – und leider noch kaum entdeckt – birgt die Multimodalität der KI-Tools. Es lassen sich nicht nur Texte generieren, sondern wir können nun quasi per Knopfdruck Erklärbilder oder Lernlieder erzeugen, selbst für den Mathematikunterricht, um etwa das Einmaleins spielerisch einzuüben. Generell ist KI ein guter Ideengenerator, wenn es zum Beispiel darum geht, Lerninhalte an die Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen anzupassen. ChatGPT hat mir unter anderem mal vorgeschlagen, für Schülerinnen und Schüler im Stile des Onlinegames Minecraft eine Brücke zu bauen, um so den Satz des Pythagoras ganz konkret durchzuspielen. Da ich keine Gamerin bin, wäre ich selbst nie auf diese gute Idee gekommen.
„Wir müssen uns mit diesen neuen Technologien auseinandersetzen – um ihre Chancen zu nutzen und auch um ihre Risiken beherrschbar zu machen.“
Doris Weßels, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel
Laut einer Studie des Branchenverbands Bitkom hat jede zweite Lehrkraft in Deutschland bereits KI genutzt. Aber jede neunte schließt das auch künftig kategorisch für sich aus. Wie erklären Sie sich das?
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Wie lassen sich Berührungsängste gegenüber KI denn abbauen?
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Weßels: Das A und O ist es, sich der Herausforderung zu stellen und diese KI-Tools etwa im Rahmen eines kleinen Workshops selbst einmal auszuprobieren, um sich eine eigene Meinung zu bilden. So kann man die Erfahrung machen, welche neuen Lehrszenarien plötzlich möglich sind, wie viel Zeit sie bei der Arbeit sparen, wie sie das eigene methodische Instrumentarium und den Unterricht bereichern, wenn man die Schülerinnen und Schüler mit neuartigen Lernangeboten überrascht. Aber wir müssen auch immer die Risiken im Blick haben und die Limitationen der KI-Werkzeuge kennen. Und weil diese Tools so viel mehr Fragen aufwerfen als die übliche Software, die man sonst im Alltag nutzt, entsteht bei vielen Lehrerinnen und Lehrern Gesprächsbedarf: Sie suchen den Austausch mit anderen, teilen mit Kolleginnen und Kollegen ihre Erfahrungen. Bestenfalls entwickeln sich in einem nächsten Schritt dann Netzwerke in den Kollegien, in denen man gemeinsam Ideen entwickelt und Projekte auf den Weg bringt. Damit sich Lehrende hier auch rechtlich auf der sicheren Seite wissen können, braucht es natürlich auch den Rückhalt und den Willen der Schulleitung und der Schulbehörde. Generell empfehle ich einen regelmäßigen Termin für das gesamte Kollegium, im Idealfall im wöchentlichen Rhythmus wie ein gemeinsames Microlearning, um neue KI-Tools vorzustellen, gemeinsam zu testen und sich so kontinuierlich mit dem Thema zu beschäftigen. Denn die Entwicklung in diesem Bereich ist unglaublich rasant. Wir Lehrende müssen daher jetzt zu Turbolernenden werden, um unserer Rolle auch künftig gerecht zu werden und unsere Schülerinnen und Schüler im Umgang mit diesen Zukunftstechnologien qualifizieren und auf ihrem Lernweg kompetent begleiten zu können.
Doris Weßels ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich die Mathematikerin mit KI-Sprachmodellen wie ChatGPT und ihren Auswirkungen auf den Bildungsbereich.