Jetzt ist es endlich da: das Startchancen-Programm – die bereits vor mehr als zwei Jahren im Koalitionsvertrag versprochene Unterstützung für 4.000 Schulen im Brennpunkt. Nach zähen und langwierigen Verhandlungen. Wer kann die vielen Treffen und Gespräche zwischen dem Bundesbildungsministerium und den Kultusministerien der Länder auf Arbeits-, Staatssekretariats- und Ministerialebene zählen? Was für eine schwere Geburt. Und wie das so bei Neugeborenen ist: Für die Eltern ist es das süßeste Baby der Welt. Die Erwartungen sind hoch, was aus der Kleinen oder dem Kleinen nicht alles werden soll.
So scheint es jetzt auch, wenn man die Kommentare von Bund und Ländern hört. Wer nicht zu den nahen Verwandten gehört, sieht eher das Schrumpelige, das Zerknautschte, die Schrammen und Beulen. Aber lassen wir uns doch von den positiven Ambitionen anstecken! Schließlich sind wir in Deutschland gut darin, alles von Anfang an schlechtzureden. Wir wissen: Kinder sind lernfähig. Die Geburtsanlagen sind wichtig. Aber das eigentliche Potenzial hängt davon ab, wie liebevoll sich die Eltern um den Neuankömmling kümmern.
Chancenbudget weckt die meisten Hoffnungen
Wichtig ist, dass die insgesamt zwei Milliarden Euro – eine Milliarde stellt der Bund zur Verfügung, die andere bringen die Länder auf – für die Ziele des Programms eingesetzt werden. Immerhin haben sich Bund und Länder zum Ziel gesetzt, den Anteil der Kinder, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch nicht erreichen, zu halbieren. Zwei Milliarden Euro sind angesichts der Größe dieser Aufgabe ein überschaubarer Betrag.
Von den drei Säulen des Programms – Schulbau und -ausstattung, Chancenbudget sowie Personal für multiprofessionelle Teams – ist das Chancenbudget wohl am interessantesten und weckt die meisten Hoffnungen und Erwartungen.
Ein Blick in den Beipackzettel zum Eckpunktepapier, das sogenannte „Orientierungspapier“ zum Chancenbudget, zeigt, dass die Länder viel Spielraum haben, diese Mittel zu verwenden. Die Länder haben offensichtlich gut verhandelt. Eine noch deutlichere Fokussierung auf die Stärkung von Basiskompetenzen wäre jedoch angebracht gewesen. Es bleibt zu hoffen, dass dieses primäre Ziel des Programms auf Ebene der Schülerinnen und Schüler die Richtschnur sein wird.
Schulaufsicht muss Entwicklungsprozesse begleiten
Wichtiger als die drei Säulen ist allerdings das dahinterliegende Potenzial: bessere, das heißt wirksamere Konzepte für den Unterricht an diesen Schulen. Diese Schulentwicklungsprozesse müssen nun von den Ländern nicht nur initiiert, sondern auch begleitet werden. Vielfach sind die Strukturen und Unterstützungsangebote dafür bereits vorhanden, zum Beispiel in den Landesinstituten oder Schulaufsichten. Jetzt gilt es, den Blick besonders auf die Schulen im Brennpunkt zu richten.
Die Herausforderung liegt in der sozioökonomisch benachteiligten Schülerschaft und im Umfeld der Schülerinnen und Schüler und der Schulen. Die Unterstützung der Familien kann nicht wie sonst an deutschen Schulen als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Es geht um eine passgenaue Unterstützung. Auch diese Kinder und Jugendlichen müssen zum bestmöglichen Lernerfolg geführt werden.
Auf passgenaue Förderung kommt es an
Die klassischen Lehrpläne und die gängigen Lehrwerke passen häufig nicht zu den Lernvoraussetzungen und Bedarfen der Schülerschaft. Lehrkräfte brauchen Spezielle, bereits erprobte Unterrichtskonzepte mit Materialien sowie Fortbildungsmöglichkeiten und Unterstützung bei spezifischen Herausforderungen. Wichtig ist auch eine verstärkte Diagnostik durch einen deutlich intensivierten Einsatz digitaler Tools, die eine Datenbasis für eine passgenaue Förderung liefern. Hier sind andere Länder im internationalen Vergleich deutlich weiter.
Das Ziel, den Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in den Fächern Mathematik und Deutsch nicht erreichen, zu halbieren, ist ambitioniert. Aber man sollte die Eltern des Programms nicht schon zu Beginn entmutigen, sondern unterstützen. Der Weg ist anspruchsvoll, das Ziel mit einer Kennziffer klar formuliert. Das ist für die deutsche Bildungspolitik ungewöhnlich und mutig. Mit der Diskussion um das Programm, so scheint es, ist in vielen Bundesländern die Bereitschaft gewachsen, im Unterricht bei der Vermittlung von Basiskompetenzen besser zu werden. Indem man genauer hinschaut und die Schulen mit der Analyse und Weiterentwicklung nicht allein lässt.
Das kann ein Anfang für einen besseren Dialog von Bildungsadministration mit den Schulen sein. Und es kann der Beginn zu einer wirkungsorientierten Organisation aller Schulen werden. Das wäre ein echter Innovationsschub für das Bildungssystem. Das Programm hat Potenzial, wenn es ausgeschöpft wird.
Dieser Beitrag ist exklusiv im Bildung.Table Professional Briefing am 2. Februar 2024 erschienen.
Dr. Markus Warnke ist seit 2013 Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung. Zuvor war er im Kinder- und Jugendministerium von Nordrhein-Westfalen sowie als Bundesgeschäftsführer beim Familienbund der Katholiken in Berlin tätig.
2 Antworten
Was ist Euch beim Startchancen-Programm wichtig? Welche Ideen habt Ihr für die passgenaue Förderung der Schülerinnen und Schüler?
Ich hoffe sehr, dass das Geld sinnvoll investiert werden kann in Projekte und Programme, die langfristig angelegt sind. In der bisherigen Fördertöpfen über AnC und das Aktionsprogramm Integration sind auch schon tolle Sachen gemacht worden, aber man hatte an der ein oder anderen Stelle doch auch das Gefühl, dass das Geld in Dinge geflossen ist, die dann einfach verpufft sind. Es braucht dringend ein gutes Angebot der Länder, evtl. durch einen Katalog, an dem die Schulen sich orientieren können; es braucht gute Netzwerkarbeit, damit man durch Multiplikatoren möglichst eine große Bandbreite an Ideen an alle Schulen tragen kann; es braucht aber auch Freiheiten für die Schulen, damit diese passgenau arbeiten können. Das Startchancen-Programm ist eine riesige Herausforderung, bei der ich hoffe, dass sie gut durchdacht an den Start geht und nicht eine Hauruckaktion wird, wie so vieles in der Bildungspolitik.