Schulabsentismus

Hoch mit der Anwesenheitsquote!

Das Forschungsprojekt „Jeder Schultag zählt“ zeigt, wie Schulen durch pädagogische Maßnahmen Schulabstinenz durchaus reduzieren können. Ein Gastbeitrag.

Wer in der Schule häufig fehlt, erzielt meist auch schlechtere schulische Leistungen. Ungelöste schulische oder familiäre Probleme können zu noch höheren Fehlquoten führen und diese wiederum zu noch schlechteren Leistungen. Die Gründe, wieso Kinder und Jugendliche in diesen Teufelskreis geraten, sind unterschiedlich: psychische Probleme, Mobbing, Schulversagen oder wenig familiäre Unterstützung. All das kann den sogenannten Schulabsentismus verstärken. Das Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Schule ohne Abschluss verlassen, erhöht sich stark. Aber wie können Schulen dem entgegenwirken und so viel „Haltekraft“ entwickeln, dass auch Heranwachsende in schulischen Risikolagen den Unterricht regelmäßig und möglichst erfolgreich besuchen? Mit dieser Frage hat sich das Forschungs­projekt „Jeder Schultag zählt“ von 2019 bis 2022 beschäftigt. Das Ziel: die Entwicklung von evidenz­basierten, effektiven und praxis­nahen Strategien, um Schul­absentismus und die Zahl der Schulabbrüche zu reduzieren. Die gute Nachricht: Der Teufelskreis lässt sich pädagogisch durchbrechen!

Wer, wie, was? Das Forschungsprojekt im Überblick

Finanziert, initiiert und durch­geführt wurde das Projekt von der Alfred Toepfer Stiftung F. V. S. sowie der Joachim Herz Stiftung in Zusammenarbeit mit der Hamburger Bildungsbehörde und der Uni­versität Oldenburg. An dem Projekt nahmen vier Schulen aus Hamburg teil, die alle in Gebieten mit sozialen Heraus­forderungen und somit einem erhöhten Risiko für Schulabsentismus liegen: die Grundschulen Neugraben und Großlohering, die Grund- und Stadtteilschule Altrahlstedt und die Stadtteilschule Süderelbe.

Nach einer ausführlichen Bestands­aufnahme an jeder Schule erarbeiteten die Projektpartner jeweils gemeinsam mit einem Team aus Schulleitung, Lehr­kräften und Schulsozial­arbeiterinnen und Schulsozial­arbeitern spezifische Ziele und Maßnahmen für die jeweiligen Schule, die dann umgesetzt, gemonitort und regelmäßig evaluiert wurden. Zunächst wurde an allen Projekt­schulen ein digitales Anwesenheits­system angeregt. So ist es besser möglich, schnell auf unent­schuldigte Fehlzeiten zu reagieren und Muster zu erkennen.

Über den Projektzeitraum hinweg konnten Lehrkräfte und das Schul­personal an Fort- und Weiter­bildungen – etwa zu Konfliktbewältigung oder Classroom-Management – teilnehmen. In den Kollegien gibt es nun speziell geschulte Ansprechpartnerinnen und -partner für Schulabstinenz, an die sich Lehrkräfte wenden können, wenn Probleme auftreten. Ebenso wurden der Austausch und die Zusammen­arbeit mit den Eltern und den Bildungsakteuren intensiviert, um Synergien zu schaffen. Auch die Schülerinnen und Schüler hatten ein Mitspracherecht. An einer der Projektschulen hat jeder Jahrgang einen „Chillraum“ zum Zurückziehen bekommen, eine andere Schule hat den Unterrichts­rhythmus angepasst, um die Lernmotivation zu steigern.

Die Gründe für Schul­absentismus sind vielfältig: Einige von ihnen sind laut Heinrich Ricking psychische Probleme, Mobbing, Schulversagen oder wenig familiäre Unterstützung.  Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Im Rahmen des Forschungsprojekts „Jeder Schultag zählt“ legten die teil­nehmenden Schulen Wert darauf, dass auch die Schülerinnen und Schüler ein Mitsprache­recht haben. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Katharina Werle
Ist das Schulklima einladend, fühlen sich die Schülerinnen und Schüler wertgeschätzter und wohler. Das hilft, ihre Anwesenheitsquote zu erhöhen. Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Oliver Hardt

Die Bilanz: Schulen können Schulabstinenz auch ohne Bußgelder reduzieren

Die Pandemie erschwerte die Durch­führung des Projekts zunächst erheblich, aber in der zweiten Hälfte konnten auch Maßnahmen für den Präsenzunterricht an den jeweiligen Schulen implementiert werden. Das Ergebnis: An allen vier Schulen verbesserten sich die Beding­ungen für einen regelmäßigen Schul­besuch, was sich teilweise auch in höheren Anwesenheitsquoten niederschlug.

Hintergrundinformationen und die Ergebnisse des Forschungsprojekts hat das Projektteam in einem Handbuch für Schulen ausführlich zusammengefasst. Dieses enthält unter anderem Checklisten für die Bestandsaufnahme und Module zur Prävention und Intervention inklusive Umsetzungs­beispielen und Kopiervorlagen. Die Nachfrage war und ist groß. Auch wenn die Handhabung von Schulabsentismus je nach Bundesland variiert, scheint es doch einen Paradigmen­wechsel zu geben: Bußgelder helfen nur selten, man sollte erst mal die pädagogischen Möglichkeiten ausschöpfen.

Schulabsentismus verringern: Tipps für Schulen

  • Offene und konstruktive Haltung im Kollegium: Fälle individuell und frühzeitig besprechen, damit kein Gewöhnungs­prozess entsteht.
  • Anwesenheit systematisch erfassen: So können Probleme frühzeitig erkannt werden.
  • Schnelle Reaktion: bei unentschuldigtem Fehlen direkt Kontakt auf­nehmen, auch um die eigene Haltung klar zu zeigen.
  • Schulklima verbessern: Schule unter Einbindung der Schülerinnen und Schüler einladend gestalten, damit sich alle wohlfühlen.
  • Sicherheit schaffen: Präventions- und Deeskalationsmaßnahmen gegen Mobbing und Gewalt aufbauen.
  • Positive Beziehungen aufbauen: eine intensive Schüler-Lehrer-Beziehung und ein Gefühl für die richtige Mischung aus Freiheit und Grenzen entwickeln, die Schüler­innen und Schüler mit auffälligem Verhalten brauchen.
  • Emotionale und soziale Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler fördern: zum Beispiel durch Beratungsangebote, Buddy-Programme oder Kompetenztraining.
  • Kooperation mit Erziehungsberechtigten: Austausch und Abstimmung ist hier besonders wichtig.
  • Netzwerke mit externen Einrichtungen: So können gegebenenfalls Synergien geschaffen werden.
Foto: © Heinrich Ricking

Heinrich Ricking ist seit 2022 Professor an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Am Institut für Förderpädagogik forscht er im Bereich „Emotionale und soziale Entwicklung unter Berücksichtigung sonderpädagogischer Förderung und inklusiver Kontexte“. Ricking leitete das Forschungsprojekt „Jeder Schultag zählt“.

Weitere Informationen zum Forschunsprojekt „Jeder Schultag zählt“ finden Sie hier:

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