Der Morgen beginnt mit einem kleinen Notfall. Der achtjährige Ben (Anm. d. Redaktion: Die Namen aller im Text erwähnten Kinder wurden geändert.) aus der Pinguinklasse klagt über Bauchschmerzen. Er war gestern hingefallen, beim Fußballspielen auf dem Schulhof. Hängen seine Schmerzen damit zusammen? Oder hat ihn ein Infekt erwischt? Karin Redmann macht sich ein Bild von der Situation. Sie packt ein Wärmekissen ein und geht schnellen Schrittes durch die verwinkelten Gänge der James-Krüss-Grundschule in die Klasse. Dort wuseln die Schülerinnen und Schüler herum, nur Ben sitzt still auf seinem Platz. Karin Redmann, hellblonde Haare, knallgelber Pullover, warmes Lächeln, kniet sich neben den Jungen und spricht sanft mit ihm. Das Kind ist blass und hat leichte Bauchschmerzen, ansonsten geht es ihm gut. Sie drückt ihm das Wärmekissen in die Hand und nickt ihm aufmunternd zu. Ein kurzes Gespräch mit der Lehrerin: Muss Ben abgeholt werden?
Die beiden Frauen beschließen, abzuwarten, wie sich der Zustand des Schülers entwickelt. „Wir versuchen, so viel wie möglich abzufangen, damit die Kinder nicht direkt von ihren Eltern abgeholt werden müssen“, sagt Redmann. Manchmal, so ihre Erfahrung, stecke auch etwas anderes hinter dem Unwohlsein. Ein Streit mit einem Freund zum Beispiel, das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Um das herauszufinden, braucht Karin Redmann nicht nur medizinisches Fachwissen, sondern auch viel Fingerspitzengefühl – und eine große Portion Liebe für ihren Beruf und ihre kleinen Schützlinge.
Schulleiterin Christiane Hartmann und Gesundheits-lotsin Karin Redmann im Gespräch mit Autorin Marie-Charlotte Maas.
Karin Redmann vereint an der James-Krüss-Grundschule viele Rollen: Sie ist Gesundheitsexpertin, Psychologin und Vertrauensperson in einem.
Hilfe auch in bürokratischen Dingen
Seit zwei Jahren ist die gelernte Kinderkrankenschwester im Rahmen des multiprofessionellen Gesundheitslotsendienstes an der Schule im Einsatz. Hierbei handelt es sich um ein Pilotprojekt des Gesundheitsamtes der Stadt Köln, das durch Mittel aus dem Förderprogramm „kinderstark – NRW schafft Chancen“ unterstützt wird. Expertinnen und Experten wie Karin Redmann gibt es inzwischen in neun Familiengrundschulzentren, die in sozioökonomisch benachteiligten Quartieren eingerichtet wurden. So tragen die Lotsinnen ihr medizinisches Fachwissen in die Viertel.
Neben der Behandlung von akuten Krankheitsfällen gehört es zu ihrer Aufgabe, Eltern und Schülerinnen und Schüler bei allen Fragen rund um Gesundheitsthemen zur Seite zu stehen und sie bei Bedarf mit den zuständigen Stellen zu verknüpfen. „Viele Eltern brauchen nicht nur sprachliche Unterstützung, sondern müssen erst einmal verstehen, wie das Gesundheitssystem funktioniert: Welche Ärztinnen und Ärzte sind für welche Krankheiten zuständig, wie stellt man einen Antrag auf medizinische Leistungen?“ Manche Eltern benötigen konkrete Hilfe beim Ausfüllen mehrseitiger Formulare und Fragebögen. Andere beruhigt es einfach, wenn Karin Redmann neben ihnen sitzt, während sie die Nummer der Ärztin oder des Arztes wählen. Es kommt auch vor, dass die 41-Jährige sie bei den Terminen begleitet – um ihnen etwa bei belastenden, teilweise tabubehafteten Themen wie psychischen Problemen oder geistigen Behinderungen der Kinder beizustehen.
„Mit unserem Fokus auf die Gesundheit wollen wir allen Kindern die gleichen Chancen auf ein gutes Aufwachsen und damit auf Bildung und auf gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen“, erklärt Karin Redmann das Ziel des Projekts. Für Christiane Hartmann, Schulleiterin der James-Krüss-Grundschule, ist dieses Engagement von unschätzbarem Wert. „Frau Redmann ist unser rettender Engel. Ohne sie könnten wir die Herausforderungen, die wir mit einem Großteil der Schülerinnen und Schüler haben, gar nicht bewältigen“, macht Hartmann deutlich. „Neben dem Unterricht fehlt uns Lehrkräften oft die Zeit, um uns hinreichend um gesundheitliche Fragen zu kümmern und Auffälligkeiten etwa bei der Entwicklung der Kinder oder hinsichtlich chronischer Krankheiten nachzugehen. Und oft kennen wir uns natürlich damit auch gar nicht aus und sind dankbar über die Beratung durch eine Expertin“, so die Schulleiterin.
Darum würde sich Christiane Hartmann auch wünschen, dass Karin Redmanns Stunden an der Schule aufgestockt werden. Aktuell ist sie an einem Vormittag in der Woche im Einsatz. Zu wenig, findet auch die Gesundheitslotsin selbst: „Mit mehr Zeit könnten wir Kurse zu Themen wie altersgerechte Bewegung, mentale Gesundheit, Medienkonsum oder Umgang mit Stress anbieten – und zwar für Eltern und Kinder.“
„Mit unserem Fokus auf die Gesundheit wollen wir allen Kindern die gleichen Chancen auf ein gutes Aufwachsen und damit auf Bildung und auf gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.“
Karin Redmann, Gesundheitslotsin an der James-Krüss-Grundschule in Köln
Ein Plüschpferd als Türöffner
Es klopft an der Tür. Maira, Derya und Vicky stehen vor Karin Redmanns Büro, das eigentlich das Arztzimmer ist. Redmann begrüßt sie herzlich und winkt sie hinein. Die vier kennen sich gut, denn die Mädchen schauen häufig vorbei. Selten mit gesundheitlichen Beschwerden. Vielmehr mögen die Zweit- und Drittklässlerinnen es, sich zu unterhalten, zu malen. Manchmal atmen sie hier im hektischen und trubeligen Schulalltag einfach mal durch. Heute aber steht Helge im Mittelpunkt ihres Interesses. Das Plüschpferd ist eine Handpuppe und Karin Redmanns ständiger Begleiter. Eigentlich hilft es dabei, Barrieren abzubauen und Nähe zu schaffen, wenn Kinder etwa besonders zurückhaltend oder ängstlich sind.
Bei Vicky und ihren Freundinnen braucht es das nicht. Die Mädchen erzählen von sich aus, was sie auf dem Herzen haben. Maira berichtet, dass ihr vor Kurzem ein Zahn gezogen wurde, Vicky schwärmt von dem Klassenausflug in die Stadtbibliothek. Karin Redmann hört aufmerksam zu, fragt nach, erklärt. Als die Glocke das Ende der Pause einläutet, eilen die Mädels in den Unterricht, und auch Karin Redmann muss – mit Helge im Schlepptau – direkt weiter. Eine erste Klasse wartet auf sie. Mit ihr hatte die Gesundheitslotsin vor ein paar Wochen über das Thema gesunde Ernährung gesprochen. Es ging auch darum, was in eine Brotbox gehört. Heute will sie wissen, woran sich die Kinder gut erinnern können.
Wissen vermitteln auf Augenhöhe
Auf dem Weg durch das Schulgebäude wird die Gesundheitsexpertin immer wieder angesprochen: „Frau Redmann, wann kommst du wieder zu uns?“ Auch die Kinder der ersten Klasse freuen sich sichtlich auf das Treffen. Gespannt sitzen sie auf ihren Stühlen und lauschen der Frage, was denn in eine gesunde Brotbox gehöre. Die Antworten kommen schnell: Paprika, Apfel, Möhre, Mandarinen, Banane, Brot mit Käse. Karin Redmann ist begeistert: „Das habt ihr euch richtig gut gemerkt.“ Dann holt sie eine Ernährungspyramide hervor, mit der sie den Kindern erklärt, welche Mengen der unterschiedlichen Lebensmittel sie zu sich nehmen sollen. „Süßigkeiten sind nicht komplett verboten“, beruhigt sie die Klasse, „aber die Anzahl ist entscheidend – und dass ihr danach die Zähne putzt.“ Die Kinder nicken. In der Theorie haben sie vieles verstanden, aber nicht alle setzen das Gelernte auch tatsächlich um. „Wenn es nötig ist, nehme ich darum auch Kontakt mit den Eltern auf und erkläre ihnen, was wir in der Schule besprochen haben.“
Mittlerweile ist es Mittag geworden. Karin Redmanns Dienst ist fast vorbei. Gleich wird sie nach Hause zu ihren Kindern fahren und dort das eine oder andere Problem lösen, mit ihnen reden, zuhören. Nächste Woche ist sie dann wieder an der James-Krüss-Grundschule im Einsatz – natürlich gemeinsam mit Helge.
Gesundheitsförderung in anderen Bundesländern
Auch in Hamburg, Bremen, Hessen und Brandenburg gibt es Gesundheitsprojekte mit jeweils unterschiedlicher Ausrichtung. In Rheinland-Pfalz etwa werden seit 2018 Schulgesundheitsfachkräfte an Grundschulen eingesetzt. Mittlerweile sind es 26 Fachkräfte, die bei Not- oder Unfällen Erste Hilfe leisten, Medikamente verabreichen und Schülerinnen und Schüler mit chronischen Erkrankungen unterstützen. Die Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz kooperiert für das Projekt mit dem Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Universitätsmedizin in Mainz, welches das Engagement wissenschaftlich begleitet.
2 Antworten
Welche Initiativen zur Förderung der Gesundheit von Kindern und Familien gibt es an Euren Schulen?
Solche Initiativen müssten auf jeden Fall stärker gefördert werden. Finde ich super. Gerade auch, weil es ja Studien dazu gibt, die einen Zusammenhang zwischen Gesundheitsvorsorge/Hygiene und familiärem Bildungsniveau sehen. Es ist so wichtig, dass sich Schulen auch externer Expertisen bedienen können. Das Startchancen-Programm wird da hoffentlich einiges möglich machen.
An meiner Schule gibt es einen Frühstücksdienst: Das Sozialpädagogenteam bietet den 5. – 7. Klässlern die Möglichkeit, gegen einen kleinen Preis ein gesundes, kleines Frühstück vor Unterrichtsbeginn zu bekommen. Das Angebot muss sich allerdings aus sich selbst heraus finanzieren.