Christiane Hartmann, Schulleiterin

Multiprofessionelle Teams

„Mit jeder neuen Fachkraft gewannen wir eine neue Perspektive auf die Kinder“

In multiprofessionellen Teams zusammenzuarbeiten ist kein Selbstläufer. Christiane Hartmann erzählt von ihrem langen Weg hin zu einem vertrauensvollen Miteinander.

Frau Hartmann, Sie sind seit fast 20 Jahren Schulleiterin an der James-Krüss-Grundschule in Köln. Was waren die größten Veränderungen, die Sie erlebt haben?

Christiane Hartmann: Im Schuljahr 2006/2007 wurden wir zu einer Offenen Ganztagsschule (OGS) und acht Jahre später zu einer sogenannten Schule für gemeinsames Lernen. Das Konzept beinhaltet, dass Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf gemeinsam in einer Klasse unterrichtet werden. Wir hatten zwar auch vorher schon Kinder mit großem Förderbedarf, aber der offizielle Status brachte uns eine neue Sichtbarkeit. Das half uns sehr in unseren Gesprächen mit möglichen Kooperationspartnern wie Kitas, Elternberatungsstellen oder Jugendhilfeträgern.

Welche Auswirkungen hatte das auf die Zusammensetzung Ihres Kollegiums?

Hartmann: Es wurde vielfältiger. Denn nach und nach verstärkten Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlicher Fachausbildung unser Team: Sonder- und Sozialpädagoginnen, Schulsozialarbeiter, Ergänzungskräfte, pädagogische Mitarbeitende der Offenen Ganztagsschule und seit Ende 2021 eine Gesundheitslotsin. Mit jeder neuen Fachkraft gewannen wir eine neue Perspektive auf die Kinder.

Porträt Christiane Hartmann
Foto: © Mika Volkmann

Christiane Hartmann leitet seit fast 20 Jahren die James-Krüss-Grundschule in Köln.  

Und wie funktioniert die Einbindung der Neuen ins Kollegium?

Hartmann: In der Regel ist die Klassenleitung dafür verantwortlich, die passende Fachkraft einzubinden. Nehmen wir zum Beispiel den Fall, dass ein Kind laufend den Unterricht stört oder handgreiflich gegenüber anderen Kindern ist. Wenn sich auch nach mehreren Elterngesprächen die Situation nicht bessert, holt die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer unsere Sozialarbeiterin ins Boot. Sie unterstützt dann die Eltern. Wenn ein Kind hingegen Lernschwierigkeiten hat, wird eine Sonderpädagogin oder ein Sonderpädagoge herangezogen. So können wir leichter herausfinden, ob das Kind womöglich einen besonderen Lernförderbedarf hat. Wenn es jedoch Anzeichen für ADHS gibt, ist die Gesundheitslotsin gefragt. Bei uns laufen verschiedene „Scanverfahren” gleichzeitig, damit uns kein Kind verloren geht.

Wie identifizieren Sie denn bei Ihren Kindern die besonderen Bedürfnisse?

Hartmann: Wir gehen in regelmäßigen Teamsitzungen gemeinsam Listen durch, in denen die Kolleginnen und Kollegen Auffälligkeiten notiert haben. Dann überlegen wir, ob wir bestimmte Kinder genauer in den Blick nehmen müssen. So treffen sich beispielsweise alle Klassenlehrkräfte einer Stufe wöchentlich mit den Sozialpädagoginnen und Sonderschullehrerinnen, um konkrete Fälle zu besprechen. Ungefähr einmal im Monat kommt die OGS-Gruppenleitung dazu. Die Mitglieder der OGS haben die individuelle Förderung von sozialen oder künstlerischen Fähigkeiten im Blick. Ihre Einschätzung ist deshalb so wichtig, weil manche Kinder am Nachmittag regelrecht ausflippen, während sie vormittags gut mitarbeiten. Wir überlegen dann, ob und in welchem Setting das Kind Unterstützung braucht, etwa in Form eines besonderen pädagogischen Angebots oder mithilfe einer Schulbegleitung.

Das bedarf einer guten Abstimmung. Wie hoch ist der zeitliche Aufwand?

Hartmann: Der ist schon erheblich, zumal mein Team darüber hinaus sehr viel Zeit in die Kommunikation mit den Eltern investiert. Ich schätze, dass die Lehrkräfte pro Woche fünf Stunden nur mit Übergaben und Abstimmungen beschäftigt sind – die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts natürlich ausgenommen.

 

Und wie lange hat die Erarbeitung dieser Vernetzungsstruktur gedauert?

Hartmann: Fast zehn Jahre! Das lag unter anderem daran, dass meine Kolleginnen und Kollegen zuvor anders gearbeitet hatten. Als ich vor 20 Jahren an die Schule kam, galt noch das Einzelkämpfertum. Heute ist das anders, jüngere Menschen sind viel mehr an Teamarbeit gewöhnt. Das ist auch notwendig, da die psychische Belastung oft groß ist. Es geht ja auch um harte Schicksale. Manchmal müssen Kinder aus einer Familie herausgenommen werden – dann begleitet die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer diesen Prozess gemeinsam mit der Schulsozialarbeiterin und im engen Austausch mit dem Jugendamt. Wenn Kinder ihre Fluchterfahrungen schildern, lässt uns das auch nach der Arbeit nicht los. Es tut dann gut, das mit den Kolleginnen und Kollegen zu teilen.

Die Kölner James-Krüss-Grundschule: Hier blickt ein multiprofessionelles Team aus verschiedenen Blickwinkeln auf die Kinder. © Mika Volkmann

Schreibmaterial

Alles geordnet: Für die Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team gibt es eine Team- und Vernetzungsstruktur, an der sich alle orientieren. © Mika Volkmann

„Ich halte viele Fäden in der Hand, bin aber nicht in allen Dingen Expertin. Werde ich in Sitzungen zurate gezogen, frage ich als Erstes: Was braucht ihr von mir in meiner Rolle?"

Welche Rolle nehmen Sie als Schulleiterin innerhalb des Teams ein?

Hartmann: Ich halte viele Fäden in der Hand, bin aber nicht in allen Dingen Expertin. Werde ich in Sitzungen zurate gezogen, frage ich als Erstes: Was braucht ihr von mir in meiner Rolle? Ich bin mir meiner Leitungsfunktion sehr bewusst. Wenn es die Situation erfordert, setze ich auch mein Krönchen auf und treffe Entscheidungen. Beispielsweise, um Ordnungsmaßnahmen bei Fehlverhalten von Schülerinnen und Schülern anzuweisen. Ich vertrete Entscheidungen aber auch nach außen, etwa gegenüber der Schulaufsicht. Ich trage diesen Teil der Verantwortung gerne und weiß, dass dies von meinem Team wertgeschätzt wird. Zu meinen Aufgaben zählt aber auch die Optimierung von Strukturen und Prozessen in den multiprofessionellen Teams. Ich habe beispielsweise festgestellt, dass sich einige Teammitglieder nur ungern in größeren Runden äußern. Die Zusammenarbeit funktioniert viel besser, wenn ich bei gemeinsamen Veranstaltungen Break-out-Räume für Gruppenarbeit einplane.

2019 wurde Ihre Schule zum Familiengrundschulzentrum (FGZ). Wie haben Sie diese Veränderung und das weitere Personal in die bestehenden Strukturen integrieren können?

Hartmann: Die Vernetzung mit den Eltern und dem Viertel war vorher schon ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit. Als Familiengrundschulzentrum können wir unseren Schülerinnen und Schülern sowie ihren Eltern aber noch gezieltere Angebote machen. Ein großer Teil der Aufgaben, für die zuvor die Sozialpädagoginnen, die Sozialarbeiterinnen und ich zuständig waren, wird nun vom Leiter des FGZ übernommen. Dieser kümmert sich beispielsweise darum, dass Eltern Deutschkurse besuchen können – und rechnet diese direkt mit dem Träger ab. Es entlastet uns sehr, wenn die Netzwerkarbeit auf noch mehr Schultern verteilt ist. Die Lehrkräfte wiederum können Eltern gezielt auf die Angebote des FGZ aufmerksam machen.

Wer spricht wann mit wem im multiprofessionellen Team?

Schulleiterin Christiane Hartmann hat eine Team- und Vernetzungsstruktur erarbeitet, in der nicht nur alle Ebenen – von der Klassenleitung über außerunterrichtliche Fachkräfte bis zu Netzwerkpartnern – detailliert aufgeführt sind, sondern auch in welchem Turnus sich wer mit wem austauscht und wer was entscheiden kann. Darin sind von wöchentlichen Gesprächen bis zu jährlichen Treffen sämtliche Austauschformate festgehalten. Ein Auszug:

  • Wöchentlich gibt es ein Treffen mit allen Klassenleitungen auf Stufenebene, an dem die Sozialpädagoginnen und/oder Sonderschullehrerinnen gegebenenfalls teilnehmen. Parallel tauscht sich das gesamte OGS-Team einmal pro Woche nach Angabe der Gruppenleitungen gezielt zu ein bis zwei Kindern aus. Jene Kinder, die dem Team besondere Sorgen bereiten, werden dabei vorgezogen. Außerdem gibt es Tandems zwischen den Klassenleitungen und der OGS-Leitung.
  • Monatlich trifft sich das Förderteam, das sich aus den Klassen- und Fachlehrkräften, den Sonderschullehrerinnen und – bei Bedarf – der Schulsozialarbeiterin zusammensetzt. Die Mitarbeitenden der Nachmittagsbetreuung kommen für eine Dreiviertelstunde dazu. Eine Besonderheit an der James-Krüss-Schule ist: Alle vier Wochen gibt es mit der Schulpsychologin des Trägers eine Fallbesprechung im OGS-Team. Am monatlichen Gesundheitszirkel zur Lehrkräfte- und Kindergesundheit nehmen die Schulleiterin, die OGS-Leiterin, die Inklusionspädagogin der OGS, ein Mitglied aus dem Lehrerrat sowie eine Ansprechpartnerin für Gleichstellungsfragen teil.
  • Alle zwei Monate findet neben der Lehrerkonferenz eine lange pädagogische Konferenz statt. Eingeladen sind Lehrkräfte, Sonderschullehrerinnen, Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen. Ebenfalls alle zwei Monate trifft sich die Entwicklungsgruppe des Familiengrundschulzentrums. Diese besteht aus einer Elternvertreterin, einer Lehrkraft, einem Mitglied aus dem Lehrerrat, einer Vertreterin des FGZ-Trägers und der FGZ-Leitung. Diese Gruppe gestaltet das Angebotsprogramm und entscheidet über den Etat des FGZ.

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


… im Postfach

Abonnieren Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit den besten Geschichten.

Das könnte Sie auch interessieren:

Jugendarbeit

Mama Schalke

Digitalisierung

Lernen für eine digitale Welt

Startchancen-Programm

Neue Webseite liefert Übersicht

Multiprofessionelle Teams

„Mit jeder neuen Fachkraft gewannen wir eine neue Perspektive auf die Kinder“

Bitte beachte unsere Netiquette.

Auf SchuB möchten wir den fachlichen Austausch der Schulen im Brennpunkt untereinander fördern. Daher freuen wir uns sehr über Eure Meinung zu unseren Beiträgen. Für einen respektvollen und konstruktiven Austausch bitten wir Euch folgende Regeln zu beachten:
Wir danken Euch für Eurer Verständnis und Eure Mitwirkung und wünschen Euch viel Freude beim Kommentieren.

Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden?

Bitte aktiviere JavaScript in deinem Browser, um dieses Formular fertigzustellen.
Wie sind Sie auf uns Aufmerksam geworden