Sprachförderung

Das sprechende Klassenzimmer

Die Lehrerin und Sprachlernberaterin Jasmin Knoll bringt Kindern der Hamburger Grundschule Kirchdorf Sprache nahe. Mit einem Konzept, das Spaß macht und alle mitnimmt.

Die Tür zur Wolfklasse der Grundschule Kirchdorf in Hamburg-Wilhelmsburg ist weit geöffnet. An ihr hängen Schilder mit bunten Buchstaben und einer Botschaft für die 21 Kinder der Klasse 2c: In diesem Zimmer bist du willkommen. Es ist kurz vor acht, eine Mutter steht im Türrahmen und gibt ihrem Kind eine Schachtel selbst gemachter Baklava in die Hand. Das süße, mit Pistazien garnierte Gebäck ist ein Geschenk an die Klassenlehrerin Jasmin Knoll. Am Vortag war Bayram, das muslimische Zuckerfest, das am Ende der Fastenzeit gefeiert wird. Teşekkürler! Vielen Dank!, ruft sie der Mutter vom Pult aus zu. Mehrsprachigkeit ist für Jasmin Knoll Alltag. „In der 2c werden zwölf unterschiedliche Muttersprachen gesprochen – von Nepalesisch, Kurdisch, Ukrainisch und Französisch bis hin zu Türkisch, Bosnisch, Albanisch und Somali. Da lerne ich selbst sehr viel“, sagt Jasmin Knoll. Sie bindet die Sprachen der Kinder aktiv ein, etwa beim Zahlenlernen oder bei Geburtstagsliedern. 

„Jeder Unterricht ist zugleich Sprachunterricht“

Seit 2018 ist Jasmin Knoll ausgebildete Sprachlernberaterin und entwickelte mit einer Kollegin das aktuelle Sprachförderkonzept der Grundschule Kirchdorf. Als Schule mit KESS-Faktor 2 (Anm. d. Red.: Der Hamburger Sozialindex wird auch KESS-Index genannt.) erleben wir Kinder, die mit sehr schlechten Deutschkenntnissen zu uns kommen und zu Hause kaum oder keinen Zugang zu Büchern haben.Deshalb, so Jasmin Knoll, sei hier jeder Unterricht zugleich auch Sprachunterricht. Mithilfe des Förderkonzeptes will sie allen Kindern gleiche Bildungschancen ermöglichen. Die Mädchen und Jungen mit besonderen Sprachauffälligkeiten erhalten daher schon in der Vorschule nachmittags verpflichtend zwei zusätzliche Stunden Sprachförderung von einer Erzieherin oder den Vorschullehrkräften. Zusätzlich geben die Lehrkräfte der vierten Klassen, die im Folgejahr die Vorschülerinnen und Vorschüler als Klasse übernehmen, in Halbgruppen vier Stunden Unterricht am Vormittag. 
 
Mit dem sanften Gong der Klangschale eröffnet Jasmin Knoll den Unterricht, bei dem sie eine Erzieherin unterstützt. Nach einer kurzen Begrüßung versammeln sich alle in einer Sitzecke zum Morgenkreis. Muhiddin hält den kleinen grauen Redewolf in der Hand und erzählt vom Bayram-Tag. „Es gab leckere Weintrauben-Tomaten-Mozzarella-Spieße!“ „Was ist denn Marazella?!, fragt Amar. „Das ist eine tolle Frage. Gut, dass du sie stellst!“, sagt Jasmin Knoll. Muhiddin erklärt: „Mozzarella ist ein weißer Käse. Er ist ovalig und sieht ein bisschen aus wie ein Ei.“ Rituale wie der tägliche Morgenkreis oder der einmal in der Woche stattfindende Klassenrat sind Teil der integrativen Sprachförderung, um mit den Kindern möglichst oft ins Gespräch zu kommen. „Formuliert ein Kind etwas falsch, belehren wir es nicht, sondern wiederholen die richtige Form in unserer Antwort, erklärt Jasmin Knoll. 

Die Grundschule Kirchdorf in Hamburg hat sich auf die Fahne geschrieben, die Kinder in ihrer Sprachentwicklung besonders zu fördern.
Zeit für Selbstreflexion: Die Kinder können anhand eines Smileys zu verstehen geben, wie sie den Schultag empfunden haben.

Vom Wort der Woche zum eigenen Satz

Dann ruft Jasmin Knoll am Smartboard das Arbeitsblatt zum „Wort der Woche auf: „schmeterlink“. „Ist das richtig so?“ Abdussmed meldet sich: „Wenn man das Wort verlängert, hört man, dass am Ende kein k, sondern ein g ist.“ Ergänzt wird das Rechtschreibtraining zudem durch das Bilden eigener Sätze mit dem „Wort der Woche. Auch im Sachunterricht der 2c hat das Insekt aktuell einen festen Platz. Auf einem Regal im Klassenraum steht eine Voliere. Darin ziehen die Kinder gerade Schmetterlinge auf und halten die Entwicklungsstadien der Raupen im Forschungstagebuch fest. „Unser ‚Versuch des Monats‘ ist Teil des Förderkonzepts. Eigene Beobachtungen aufzuschreiben fordert die Kinder sprachlich“, so Jasmin Knoll. 

Zwanzig Minuten am Tag wird in allen Klassen der Grundschule Kirchdorf gelesen – mal laut im Chor, mal im Tandem oder mit Hörbüchern. Im Gespräch werden die Geschichten reflektiert. Schon 2014 führte Schulleiter Christian Gronwald die tägliche Lesezeit ein, die als „BiSS-Lesetraining“ von Bund und Ländern initiiert wurde. 2019 erhielt die Schule dafür den Hamburger Bildungspreis. Wie positiv sich die tägliche Lesezeit auswirkt, wird regelmäßig durch das „Salzburger Lese-Screening“ evaluiert. Erst kürzlich erschien eine Wirksamkeitsstudie des Instituts für Bildungsmonitoring und Schulentwicklung, die den Lernerfolg durch das Lesetraining belegt. Laut aktueller Lernstandserhebung aus dem Jahr 2022 wechselte knapp ein Drittel der Viertklässlerinnen und Viertklässler aufs Gymnasium. 

Die Tür zum Klassenzimmer der Wolfklasse ist während des Unterrichts immer geöffnet – als Zeichen einer offenen Atmosphäre.

Der Morgenkreis der Klasse 2c – ein wichtiges Ritual von Jasmin Knoll, um mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen. 

Neu erlernte Begriffe wiederholen und ihre Schreibweise festigen: Die Kinder füllen das Arbeitsblatt zum Wort der Woche aus.
Der Schmetterling: Jasmin Knoll stellt den Kindern am Smartboard Fragen zum Wort der Woche – inklusive Fehlerkorrektur.

Entwicklung miterleben

Doch Jasmin Knoll geht es nicht allein um Leistungssteigerung. „Ich möchte die Kinder in ihren Stärken fördern und Schule zu einem inspirierenden Ort für sie machen.“ Dazu gehört auch, ihre Leselust zu wecken im Klassenraum, beim Bücherhallenbesuch oder im Lesezimmer. Als sie dort nach dem Unterricht vorbeischaut, fällt ihr Blick auf ein Bilderbuch über die Entwicklung von Pflanzen und Tieren. „Hoffentlich schlüpfen aus unseren Raupen demnächst auch so schöne Schmetterlinge, sagt Jasmin Knoll. 
 
Die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler mitzuerleben gehört für sie zu den schönsten Seiten ihres Berufs. Wenn sie auf ihre zehn Jahre als Lehrerin an der Grundschule Kirchdorf zurückblickt, denkt sie etwa an ein Mädchen aus Albanien, das binnen kürzester Zeit Deutsch lernte und später ans Gymnasium ging. Oder an einen ehemaligen Schüler, der das beste Abitur seines Jahrgangs machte und nun in Münster studiert. Seine Mutter traf Jasmin Knoll kürzlich in der Schule. „Sie bedankte sich bei mir. Das sind Momente, die mich als Lehrerin sehr berühren.“

Auf einen Blick: Das Sprachförderkonzept der Grundschule Kirchdorf

Integrative Sprachförderung

  • Durchgängige Sprachbildung in allen Jahrgängen
  • Tägliche oder wöchentliche Rituale wie Morgenkreise & Klassenrat, um mit Kindern ins Gespräch zu kommen
  • Individuelle Niveaus und Lernstände werden mit passenden Materialien berücksichtigt

Systematische Leseförderung | Lesen mit BiSS 

Tägliche Lesezeit von 20 Minuten & Anwendung unterschiedlicher Lautleseverfahren. Zum Beispiel: 

  • Lesen mit der ganzen Klasse im Chor
  • Tandem-Lesen
  • Würfellesen
  • Lesen durch Hören oder Hörbücher
  • Angeschlossene Gesprächskreise zur Reflexion der Geschichten 


Durchgängige fächerübergreifende Sprachbildung

Sprachförderung auch im Mathematik- und Sachunterricht, zum Beispiel: 

  • Rechenkonferenzen mit offenen und komplexen Aufgaben, Wörterlisten, Bildkarten und Satzanfänge als Hilfestellung
  • Versuch des Monats im Sachunterricht

Vorlesegespräche in Vorschulklassen

Verbindliche Durchführung von Vorlesegesprächen, um Sprechen, Lesen und Zuhören zu fördern. Sowie sprachliche und literarische Kompetenzen rund um Erzähl- und Buchkultur

Additive Sprachförderung

Raum, um Lerninhalte in kleinen Schritten zu erschließen, etwa im Rahmen von Sprachförderstunden in Kleingruppen

Unterrichtsergänzende sprachfördernde Maßnahmen

  • Theater Sprachcamp
  • Bücherhallenbesuche
  • schuleigenes Lesezimmer
  • Lesewettbewerbe 

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