Schulstrategien in sozial herausfordernder Lage

Ohne Umwege zum „Elly“

Gymnasien im Brennpunkt bangen oftmals um genügend Nachwuchs. Wie Holger Rinn vom Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Duisburg erfolgreich für seine Schule wirbt.

Jeden Morgen um kurz vor acht strömen Kinder und Jugendliche über den Pausenhof in das Schulgebäude des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums in DuisburgMarxloh. Die Familien der Schülerinnen und Schüler – neun von zehn haben einen Migrationshintergrund – stammen aus der Türkei, aus Syrien, Rumänien, Polen oder der Ukraine. Damit liegt der Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an dieser Schule weit über dem bundesdeutschen Durchschnitt von rund 33 Prozent. Das „Elly“, wie das Gymnasium liebevoll genannt wird, ist bei den Familien beliebt – und im Umfeld ziemlich gefragt. „Obwohl sich unser Gymnasium in einem sozial problematischen Umfeld befindet, wächst die Schule stetig“, freut sich Schulleiter Holger Rinn. „Für das nächste Schuljahr haben wir 115 Anmeldungen, 16 mehr als noch in diesem Schuljahr, und das trotz der freien Schulwahl in Nordrhein-Westfalen. 

Bei den Grundschulen ansetzen, um Nachwuchs zu sichern

Die Grundschulen der zukünftigen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten befinden sich in der Regel ebenfalls in Marxloh oder in Stadtteilen in ähnlich herausfordernder Lage. Laut der Analyse „Schulen im Brennpunkt 2023“ des impaktlab der Wübben Stiftung Bildung starten diese Kinder mit ungünstigen Lernvoraussetzungen und unter schwierigen Rahmenbedingungen ins Schulleben. Sie können Lernrückstände kaum aufholen. Jedes fünfte Kind muss der Auswertung zufolge eine Klasse an der Grundschule wiederholen. Für Holger Rinn ist daher klar: Genau hier, an den Grundschulen, muss er ansetzen, um auch künftig genügend Schülerinnen und Schüler an seinem Elly begrüßen zu können. 

Deshalb arbeitet Rinn eng mit den drei Grundschulen im Stadtteil zusammen. Kinder, die Sprachschwierigkeiten haben, aber voraussichtlich eine Gymnasialempfehlung erhalten, werden ab der dritten Klasse von Lehrkräften des Elly zusätzlich in Deutsch unterrichtet. Dafür besuchen sie die jeweilige Grundschule. Ab der vierten Klasse erhalten die Kinder die Sprachförderung an einem Nachmittag in der Woche am Elly. Dabei geht es nicht allein um die Qualifikation für das Gymnasium, sondern auch um den Abbau von Berührungsängsten. „Die Kinder entwickeln im Laufe des Jahres eine enge Bindung zu unseren Lehrerinnen und Lehrern. Wir sind dann für viele bereits ‚ihre Schule’, auf die sie künftig gerne gehen möchten“, erklärt Rinn. „Für eine Gymnasialempfehlung legen sie sich mächtig ins Zeug. Und am Tag der offenen Tür bringen sie ihre Eltern mit und zeigen ihnen alles. Einer Anmeldung steht dann meist nichts mehr im Wege“, zeigt sich der Schulleiter zufrieden. 

Als eine von 60 sogenannten Talentschulen in Nordrhein-Westfalen erprobt das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium außerdem verschiedene Maßnahmen der individuellen Förderung. Durch die Teilnahme an dem vom Land initiierten Programm erhält die Schule mehr Geld für Fortbildungen der Pädagoginnen und Pädagogen. Dank eines zusätzlichen Budgets für Personalstellen konnte Rinn zwei neue Lehrkräfte finanzieren, die nun entweder beim Deutschunterricht der Grundschülerinnen und Grundschüler unterstützen oder die Unterrichts- und Schulentwicklung vorantreiben. „Sie sind unendlich wertvoll für uns“, so Rinn über den Zugewinn durch die Teilnahme an dem Programm.

Um genügend Nachwuchs an sein Gymnasium zu bekommen, arbeitet Schulleiter Holger Rinn eng mit den drei Grundschulen aus dem Stadtteil zusammen.
Das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Duisburg ist bei den Familien im Umfeld sehr beliebt.

Chancengleichheit im Quartier

Vor allem aber hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Marxloher Schulen als Erfolgsmodell bewährt. Die Idee dafür entstand 2019 bei einem Treffen der Schulleiterinnen und Schulleiter aus dem Stadtteil. „Wir haben uns damals gefragt, wie wir uns gegenseitig unterstützen können, schließlich stehen wir im Stadtteil vor vergleichbaren Herausforderungen“, berichtet Rinn. „Unter Führung des Schulministeriums, der Stadt Duisburg und der Wübben Stiftung Bildung ist der ‚Bildungsfairbunt.Marxloh‘ (Anm. d. Red.: siehe auch Infokasten) gegründet worden, und wir Schulen ziehen seitdem an einem Strang.“ 

Die Schulleitungen aus Marxloh tauschen sich einmal wöchentlich aus. Außerdem werden in Arbeitsgruppen neue Ideen vorangetrieben. Jetzt plant Holger Rinn ganz nach dem Vorbild des Bildungsfairbunts, die Zusammenarbeit mit weiteren Grundschulen im Duisburger Norden zu intensivieren. „Unser Deutsch-Förderprogramm funktioniert gut. Deshalb möchten wir verstärkt auf den Dialog mit anderen Schulleiterinnen und Schulleitern setzen und so das Elly noch besser positionieren“, erläutert Rinn.

Anforderungen kennen, Hürden beseitigen

Durch den direkten Austausch zwischen Grund- und weiterführenden Schulen verschwimmen die Grenzen zwischen beiden Institutionen. Denn, so Rinn, viele Grundschulen wissen gar nicht genau, welche Anforderungen die Gymnasien, Real- oder Gesamtschulen an die Kinder stellen. „Hier möchten wir aufklären“, sagt der Schulleiter. In Marxloh soll es zudem künftig einmal im Halbjahr feste Sprechzeiten für die Lehrkräfte der Marxloher Grundschulen und der weiterführenden Schulen im Stadtteil geben, in denen sich die Pädagoginnen und Pädagogen über einzelne Kinder und etwa deren Lesekompetenz austauschen können. Rinn: „Teilen uns die Kolleginnen und Kollegen von der Grundschule mit, wie viele ‚Lies mal-Hefte ein Kind schon bearbeitet hat, so können wir die Lesefähigkeit und das Textverständnis der Fünftklässlerinnen und Fünftklässler noch besser einschätzen.“ Holger Rinn möchte dort ansetzen, wo die Kinder stehen, und nicht erst wertvolle Zeit verlieren. So schafft er es, dass die Anmeldezahlen für sein Elly weiter stetig nach oben gehen. 

Foto: © Wübben Stiftung BIldung/Martin Magunia

Holger Rinn ist seit 2009 Pädagoge am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium und leitet die Schule seit 2015. Der Vater dreier Töchter bewarb sich nach einer Anstellung an der Gesamtschule Voerde am Niederrhein bewusst in den Duisburger Norden.

Schulen im „Bildungsfairbunt.Marxloh“

Das von Holger Rinn geleitete Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium und vier weitere Marxloher Schulen haben sich zum Bildungsfairbunt.Marxloh zusammengeschlossen, um Marxloher Kinder und Jugendliche zu fördern. Der Bildungsfairbunt.Marxloh wird von der Stadt Duisburg, dem Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Wübben Stiftung Bildung unterstützt.

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