Soziales Lernen

Kluger Schachzug

Schach bringt Menschen zusammen. Doch das beliebte Brettspiel kann noch viel mehr, erzählt Lehrer Holger Hansen während eines Turniers an seiner Kieler Schule.

„Zehn, neun, acht …“ Holger Hansen steht auf einem Tisch in der Schul­sporthalle, er hält ein Mikrofon in der Hand. Mit kräftiger Stimme zählt der Mathe- und Physiklehrer den Countdown herunter. 100 Schüler­innen und Schüler, Lehrer­innen und Lehrer sowie jede Menge anderer gespannter Menschen stimmen lautstark mit ein. Nachdem sie bei der Eins angelangt sind, geht’s los.

Die Turnhalle der Klaus-Groth-Gemeinschaftsschule mit Grundschule in Kiel hat sich an diesem Herbst­morgen in den Aus­tragungsort eines Schach­turniers mit 17 Viererteams verwandelt. In den schmalen Rundbogen­fenstern thronen überdimensionale Schach­figuren als Dekoration. Tische und Bänke sind wie in einem Festzelt aufgestellt und mit schwarz-weiß karierten Schach­brettern bedeckt. Der 13-jährige Andrei zieht konzent­riert seinen Bauern. Jetzt ist sein Mitspieler aus der dritten Klasse an der Reihe. Die beiden kennen sich nur flüchtig vom Pausenhof – heute treten sie gemeinsam als Team an.

XXL-Deko in den ehr­würdigen Rund­bogen­fenstern. Sie soll sagen: Seht her, hier wird Schach gespielt!
Die Klaus-Groth-Gemein­schafts­schule richtet Turniere wie das Familien- und Freunde-Schach­turnier aus – und nimmt an verschiedenen anderen Wettkämpfen teil.
Holger Hansen, selbst Schachliebhaber, engagiert sich an der Klaus-Groth-Gemeinschaftsschule für noch mehr Freude und Spaß am Schachspiel.
Jalina und Hamza waren beide im Team „Lilly“ und lagen später bei der Auswertung des Turniers recht weit vorne.

Schach als Brücke im bunten Viertel

Die Klaus-Groth-Gemeinschafts­schule mit dem efeubewachsenen Haupt­gebäude aus Backstein liegt malerisch am Kieler Südfriedhof, eingebettet in ein Viertel mit bunten Reihenhäusern und Sozial­wohn­ungen. Die Schule, die 500 Kinder und Jugendliche besuchen, gehört zum Startchancen-Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das Einrichtungen mit einem hohen Anteil sozial benach­teiligter Schülerinnen und Schüler unterstützt.

An der Klaus-Groth-Gemeinschafts­schule kommen also Kinder aus unter­schied­lichen Kulturen zu­sammen, und viele von ihnen tun sich schwer mit der deutschen Sprache oder der Konzentration im Unterricht. Doch an diesem Morgen zeigt sich, wie sich mit Schach diese und viele andere Heraus­forderungen meistern lassen. „Das Spiel wirkt manchmal Wunder“, sagt Holger Hansen, der das Schachprojekt an der Schule initiiert und ihr 2022 zum Quali­tätssiegel „Deutsche Schachschule“ in Bronze verholfen hat. Eine Aus­zeichnung der Deut­schen Schach­jugend für bislang bundesweit 170 Schulen. „Ich spiele selbst und habe Schach 2016 in einer sogenannten Vor­habenwoche vorgeschlagen, in der wir den Schülerinnen und Schülern ver­schiedene Themen näher­bringen“, erinnert sich Hansen.

Die Resonanz war riesig: So viele Kinder und Jugend­liche haben sich angemeldet, dass sich der Lehrer Sets von einem Kieler Schachverein ausleihen musste. Und obwohl Hansen die positiven Effekte des Schachspiels kannte – logisches Denken, Geduld, Lernbereitschaft und Reaktionsfähigkeit –, war er überrascht. „Besonders Schüler­innen und Schüler mit ADHS, die im Unterricht schlecht stillsitzen können, waren am Schach­brett wie ausgewechselt: hoch kon­zentriert und völlig in das Spiel vertieft. Da wusste ich: Davon brauchen wir mehr.“

Inzwischen sind die Schachaktivi­täten der Schule ein fester Be­standteil des pädagogischen Konzepts. Angeboten werden Schachunterricht in den zweiten und fünften Klassen, Arbeits­gemein­schaften am Nach­mittag, Schachpausen für alle Schülerinnen und Schüler sowie spezielle Ange­bote nur für Mädchen.

Ein Brettspiel für alle

An diesem Dienstag im November, als die Sonne golden in die Aula scheint, wird an der Kieler Schule bereits die zweite Ausgabe des Familien- und Freunde-Schach­turniers ausgetragen. Die Idee dahinter: Kinder, die in der Schule Schach spielen, setzen das Spiel auch zu Hause fort. Ihre Eltern, die oft Berührungsängste mit der Bildungs­einrichtung haben, beglei­ten sie dann gerne zum Event. „Heute sind viel mehr Schüler­innen und Schüler und deren Eltern da als beim letzten Mal. So darf es weiter­gehen“, freut sich Hansen, während er an den Tischen entlang­schlendert und den Spielenden hier und da Tipps gibt.

Wer das Spiel anführt, lässt sich nicht am Alter ablesen. Die elfjährige Nicole hat ihre Mutter Agnieszka mitgebracht. „Ich habe ihr am Wochenende einen Crashkurs gege­ben“, sagt die Tochter stolz. Die Mutter lacht unsicher und erklärt: „Eine Runde schaue ich noch zu, dann traue ich mich.“ Dass sich die Rollen beim Schach verdrehen können, findet Holger Hansen besonders gut: „Die Kinder und Jugendlichen werden zu Lehrenden. Das sorgt für neue Perspektiven.“

Nicht nur Schüler­innen und Schüler waren zur Teilnahme eingeladen, sondern auch Freundinnen und Freunde sowie Verwandte. Agnieszka Krzyuy etwa begleit­ete ihre Tochter Nicole – und spielte selbst später mit.
Sava Mohammed erinnert sich gern daran, wie ihr ehemaliger Klassen­lehrer Holger Hansen ihr das Schachspiel beibrachte. Holger Hansen dazu: „Da geht mir wirklich das Herz auf, wenn ich das höre.“
Jamil, hier links im Bild, hat sich freiwillig für den Kuchen­verkauf gemeldet. Er wollte damit der Schule helfen und einen Beitrag zu einem gelun­genen Turnier leisten.
Fünftklässler Hamza ist konzentriert bei der Sache. In den Partien wendet er gern neue Kniffe und Taktiken an, um seine Gegnerinnen und Gegner schachmatt zu setzen.

Jamil aus der fünften Klasse läuft umher und bietet Essen und Trinken an. Er liebt Schach und hat einmal sogar einen Konflikt mit einem Freund auf dem Brett anstatt auf dem Pausenhof ausgetragen. Jetzt hilft er beim Verkaufsstand mit Selbstgebackenem und Getränken. „Er hat eine Aufgabe, auch dafür sind Ver­anstaltungen wie das Turnier wichtig“, sagt Kirsten Stech­mann aus der Schul­leitung. Sie koordiniert den Bereich „Gemein­sames Lernen“ und beobachtet das Spiel vom Rand aus. „Die Kinder und Jugendlichen merken, dass sie etwas gut können, und dadurch trauen sie sich auch in anderen Bereichen mehr zu.“

In den Pausen zwischen den jeweils 15 Minuten langen Schachpartien toben einige Kinder herum, andere bleiben an den Tischen sitzen. Jalina, Hamza und Jakob aus der fünften Klasse probieren eine Taktik aus, bei der die Gegnerin oder der Gegner nach wenigen Zügen kaum noch Chancen auf einen Sieg hat. „Das Doofe ist, dass Hamza auch weiß, wie’s geht“, sagt Jalina, als ihr Mitschüler gewinnt. Aber das Mädchen nimmt es gelassen. Schließlich hat sie durch Schach auch das Verlieren gelernt.

Schach als Integrationshelfer

Die Achtklässlerinnen Fatima und Kokobe können sich in der Pause ebenfalls nicht vom Schach lösen. „In der Fünften war Herr Hansen unser Klassenlehrer“, er­zählt die 14-jährige Sava, die ihren Freundinnen zuschaut. „Er hat immer wieder Schachstunden in den Unterricht eingebaut, und ich fand toll, dass es dabei so ruhig war.“ Als ihre Klasse 2021 Kontakt zu geflüchteten Kindern aus der Ukraine aufnahm, erwies sich das gemeinsame Schachspiel als Integra­tionshelfer. Holger Hansen: „Wir mussten uns irgendwie verständigen, aber beim Schach lernt man das wie von selbst.“

Am Ende des Turniers überreicht Holger Hansen zusammen mit dem Überrasch­ungsgast Jasper Holtel, dem Deutschen Junioren-Meister 2019, die Pokale an die drei besten Teams. Doch nicht nur die offiziellen Siegerinnen und Sieger wer­den gefeiert. Jedes Kind erhält Applaus, eine Schachfigur als Schlüssel­anhänger und Schokolade. Koordi­natorin Kirsten Stechmann ist gerührt: „Woran erinnert man sich aus der Schulzeit? Ich denke, es sind Augenblicke wie dieser.“

Punktevergabe: Wer macht das Rennen? Immerhin 17 Vierer­teams gab es – und entsprechend viele Partien.
Die drei besten Teams erhielten Pokale. Doch nicht nur die offiziellen Siegerinnen und Sieger wurden gefeiert. Jedes Kind erhielt Applaus und kleine Geschenke.

Schach an der Klaus-Groth-Gemeinschaftsschule

Neben dem Familien- und Freunde-Schachturnier be­teiligt sich die Klaus-Groth-Gemeinschaftsschule mit Grundschule an regionalen und überregionalen Wettkämpfen, darunter die Landesschul­schachmeister­schaft und die Kieler Jugend- und Schul­­schachturniere. Ein besonderes Highlight war das Förde-Cup-Schulschachturnier 2024 an der Kiellinie, bei dem knapp 200 Schülerinnen und Schüler gegeneinander antraten. Mit innovativen Projekten wie Unterwasser­schach zeigt die Schule die Vielseitigkeit ihrer Schachangebote. In einem eigenen Blog auf der Homepage berichtet die Schule von den verschiedenen Schachaktivitäten.

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