Frau Küppers, Sie leiten die Grundschule am Dichterviertel in Mülheim an der Ruhr und setzen auf das Konzept der Lernplanzeit. Was können wir uns darunter vorstellen?
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Die Lernplanzeit ist ein zentraler Bestandteil des Unterrichtskonzepts an der Grundschule am Dichterviertel und zielt auf individualisiertes und eigenverantwortliches Lernen ab. Dabei sind die Kompetenzraster für Deutsch oder Mathematik mit sogenannten Lernwegen verknüpft. Diese begleiten die Kinder durch die gesamte Schulzeit und umfassen Kompetenzen von den Vorläuferfähigkeiten bis in den Jahrgang 5. Die Lernwege hängen sichtbar in der Klasse, dabei steht jedes Feld eines Lernwegs für ein konkretes Lernziel, wie etwa das Rechnen im Zahlenraum bis 20 oder die Multiplikation. Kinder und Lehrkräfte sehen durch angebrachte Klammern, an welchem Kompetenzbereich welches Kind arbeitet. Ein Selbstcheck und/oder eine Lernzielkontrolle geben dem Kind die Rückmeldung, ob es das Lernziel erreicht hat und mit dem nächsten weitermachen kann. In diesem Fall malt die Schülerin oder der Schüler das entsprechende Feld auf ihrem oder seinem Kompetenzraster an.
Man muss sich das so vorstellen: Während der Lernplanzeit werden verschiedene Angebote bereitgestellt. Die Kinder verschiedener Jahrgänge strömen aus ihren Klassen in die unterschiedlichen Kleingruppen und arbeiten dort eigenständig oder angeleitet an ihren Themen. Differenzierte und digitale Lernmaterialien wie Erklärvideos, die wir bereits in der Coronazeit erstellt haben, helfen beim Lernen. Alle drei Wochen wird die Lernplanzeit durch eine Themenwoche ersetzt, in der sich die gesamte Schule mit einem ausgewählten Sachverhalt beschäftigt.
„Die Verantwortung für das Gelingen eines jeden Kindes trägt die gesamte Schule. “
Nicola Küppers, Schulleiterin an der Grundschule im Dichterviertel
Wie ist die Lernplanzeit organisiert – und welche Rolle übernehmen die Lehrkräfte dabei genau?
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Unsere Lehrkräfte begleiten die Kinder beim selbstgesteuerten Lernen. Was ist dein nächster Schritt? Was klappt gut? Woran musst du noch arbeiten? Was benötigst du, damit der nächste Schritt erfolgreich wird? Diese Fragen umschreiben die Lernbegleitung, die im Unterricht zentral ist. Das Team bietet in dieser Zeit stärkenorientiert Unterrichtsangebote in Kleingruppen an, die Kinder aus allen Klassen besuchen, die diese Unterstützung gerade benötigen. Wer sich also besonders gut mit der Groß- und Kleinschreibung auskennt oder den Kindern gerne die schriftliche Addition beibringt, betreut ebenjene Arbeitsgruppe, die bei diesem Thema gerade Unterstützung braucht. So kommt jede Lehrkraft gemäß dem aktuellen Bedarf und der eigenen Stärken zum Einsatz.
Da in der Lernplanzeit alle Jahrgänge und Klassen nach dem gleichen System arbeiten, kann eine Vertretung – das kann auch jemand aus dem OGS-Team sein – jederzeit ohne spezielle Vorbereitung den Lernprozess übernehmen. Sie setzt sich praktisch in dieses Nest aus vorhandener Struktur und Erfahrungsschatz der Kinder, die die Abläufe verinnerlicht haben. Damit sind wir maximal flexibel und vermeiden unnötige Doppelstrukturen. Stattdessen haben meine Kolleginnen und Kollegen mehr Zeit für richtig guten Unterricht. Mit der Lernplanzeit hört dieser aber nicht auf: Ergänzend gibt es nach der ersten großen Pause wochenweise Angebote in den Fächern Musik, Kunst, Philosophie und Religion. Wir nennen das epochalen Fachunterricht.
Sie sprachen eingangs von Verantwortlichkeiten. Was beschreiben Sie damit?
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Individualisiertes Lernen braucht klare Strukturen und regelmäßige Reflexionen. Bei uns reflektieren die Kinder wöchentlich durch Selbstchecks oder durch eine von der Lehrkraft betreute Lernzielkontrolle ihre Lernfortschritte und setzen sich neue Ziele. Dieses System ermutigt sie, Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen.
Aber an unserer Schule geht es uns um viel mehr als darum, wie gut jemand im Unterricht vorankommt. Uns geht es um kollektive Verantwortung, die wir auf allen Ebenen fördern. Sei es, indem sich unsere Viertklässlerinnen und Viertklässler überlegen sollen, wie sie der Schulgemeinschaft etwas zurückgeben können. Das kann ein kleiner Workshop im Schleifenbinden in der Pause sein. Oder sei es, dass Selbstgebasteltes aus dem Kunstunterricht an Kinderkrebsstationen oder Seniorenheime gespendet wird. So erfahren die Kinder, dass der Zauber des Lebens im Geben und nicht im Nehmen liegt. Auch unsere Lehrkräfte tragen viel Verantwortung, indem sie den Unterricht so gestalten, dass er die Kinder auf ihrem Lernweg bestmöglich unterstützt und fördert. Die Verantwortung für das Gelingen eines jeden Kindes trägt die gesamte Schule.
Nicola Küppers leitet die Grundschule am Dichterviertel in Mülheim an der Ruhr seit 2013. Die Schule erhielt den Deutschen Schulpreis 2022/2023 in der Kategorie „Unterrichtsqualität“.