Individualisierter Unterricht

„Wir waren damals ganz nah dran an richtiger Inklusion“

Der Personalmangel erschwert den differen­zierten Unterricht. Das lief vor einigen Jahrzehnten deutlich besser, berichtet uns Schulleiterin Ute Mülling.

„Zieldifferenter Unterricht ist an unserer Grundschule seit jeher Praxis. Das heißt: Die Lernziele der Kinder – ob sie nun leistungsstark sind oder Förderbedarf haben – legen wir individuell fest. Wenn Kinder nicht in der Lage sind, die allgemein gültigen Lernziele zu erreichen, möchten wir neue für sie finden. Schließlich müssen im Unterricht die Bedürfnisse aller Kinder berücksichtigt werden – das macht uns als Schule aus. Mit dem anhaltenden Personalmangel wird das allerdings immer schwieriger: Wir werden unserem eigenen hohen Anspruch nicht mehr gerecht. 

Den zieldifferenten Ansatz führten wir ein, als wir in den 90er-Jahren Schwerpunktschule für Inklusion wurden. Damals war unser Personal zu 80 Prozent doppelt besetzt. Ein Team aus jeweils einer Lehrkraft und einer pädagogischen Fachkraft war für die Kinder zuständig. Das war optimal. Denn dass es differenzierte Lernziele gab, war den Kindern gar nicht bewusst. Wir waren damals ganz nah dran an richtiger Inklusion. Mittlerweile bewegen wir uns aufgrund des knappen Personals leider weg von diesem Ideal.  

Wir haben aktuell nur zwei pädagogische Fachkräfte an unserer Schule, die zusammen für zehn Klassen zuständig sind. Im kommenden Schuljahr ist es nur noch eine. Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind frustriert: Sie müssen größtenteils allein individuelle Pläne und Materialien zusammentragen. Auch die Schulbuch­listen müssen nach den entsprech­enden Fähigkeiten der Kinder differenziert werden – so gibt es in manchen Klassen bis zu vier solcher Listen. Hinzu kommt, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen nicht mehr so gut auf einzelne Kinder konzentrieren können. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler mal Schwierigkeiten hat, muss sie oder er oft länger warten, bis sich die Lehrkraft individuell um sie oder ihn kümmern kann. Das kann für Kinder mit Förderbedarf stigmatisierend sein und ist schlicht nicht gut fürs Lernen. Mit einer Förderlehrerin im kommenden Schuljahr, die nur drei Stunden pro Woche bei uns im Einsatz sein wird, wird es nicht besser. Differenzierter Unterricht kommt so immer mehr an seine Grenzen.“  

Foto: © Ute Mülling

Ute Mülling ist seit 2001 an der Christophorus-Schule in Betzdorf-Bruche. Zuerst war sie als Konrektorin angestellt, seit 2012 leitet sie die Grundschule.  

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