Das Startchancen-Programm ist offiziell gestartet. 4.000 allgemein- und berufsbildende Schulen mit einem besonders hohen Anteil sozioökonomisch benachteiligter Schülerinnen und Schüler sollen in den nächsten zehn Jahren unterstützt werden. Bund und Länder stellen dafür zusammen 20 Milliarden Euro zur Verfügung.
Schon heißt es aus verschiedenen Ecken, das Programm sei unfair. So bemängelt etwa die CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Nur jeder elfte Schüler wird von dem Startchancen-Programm überhaupt profitieren. Das ist zu wenig.“ Der Deutsche Philologenverband kritisiert wiederum, dass nicht alle Schulformen gleichermaßen berücksichtigt würden: „In dieses Programm müssen die Gymnasien unbedingt einbezogen werden“, heißt es. Dabei ist für das Programm das Prinzip der Teilhabegerechtigkeit zentral, und Gymnasien zählen zunächst nicht zu den Schulformen, die einen besonders großen Unterstützungsbedarf anmelden.
Fokus auf Schulen mit hohem Bedarf ist richtig
Kinder und Jugendliche können nur dann an der Gesellschaft ökonomisch, politisch, sozial oder kulturell teilhaben, wenn sie dazu die nötigen Kompetenzen und Fähigkeiten haben. Das Erreichen von Mindeststandards spielt dafür eine zentrale Rolle. Der IQB-Bildungstrend zeigt, welche Schülergruppen besonders betroffen sind. Der Blick auf die Verteilung nach Schulformen macht deutlich, dass an Gymnasien wesentlich weniger Schülerinnen und Schüler lernen, die die festgelegten Mindeststandards in den Fächern Deutsch und Mathematik nicht erreichen. Die Konzentration auf jene Schulen, die hier einen besonders hohen Bedarf haben, ist also richtig. Die Gymnasien sind damit nicht per se ausgeschlossen. Maßgeblich ist nicht die Schulform, sondern sind die kumulierten Risikolagen von Schülerinnen und Schülern.
Im Startchancen-Programm geht es auch um Verteilungsgerechtigkeit. Erstmals gibt es deutschlandweit eine Abkehr vom Gießkannenprinzip: Ressourcen werden danach gesteuert, wo Bedarfe besonders hoch sind. Dafür haben die Länder die Schulen mit den höchsten Bedarfen anhand von Benachteiligungskriterien ermittelt und Sozialindizes eingeführt. Ungleiches, so der dahinterstehende und richtige Gedanke, soll ungleich behandelt werden. Gerade das ist gerecht und nicht eine Gleichheit, die Unterschiede ignoriert.
Die anderen Schulformen werden nicht vergessen
Zum ersten Mal bekommen mit dem Programm die Schulen eine erhöhte Aufmerksamkeit, die weit am Rande standen. Die Herausforderungen an diesen Schulen unterscheiden sich stark von jenen an den meisten anderen Schulen. Sie bei ihren Unterrichtsentwicklungsprozessen in besonderem Maße zu unterstützen ist richtig und wichtig. Die Gymnasien standen und stehen schon seit jeher im Rampenlicht, die Schulen im Brennpunkt bisher im Schatten. Dieser Fokus bedeutet aber nicht, dass die anderen Schulformen künftig aus dem Blickfeld geraten.
Das Programm setzt also an der richtigen Stelle an. Wobei klar ist, dass es nicht reicht, um auf lange Sicht für wirklich alle Kinder und Jugendlichen faire Chancen zu bieten. Unser langfristiges Ziel sollte darin liegen, auf die Unterschiedlichkeit der Kinder und Jugendlichen in allen Schulen adäquat reagieren zu können. Das Programm kann zum Labor und im besten Falle zum Katalysator für Veränderungen im ganzen Schulsystem werden, von dem dann alle profitieren.
Es braucht evidenzbasierte Unterrichtskonzepte und Lernmaterialien
Damit verbunden ist die weitere Qualifizierung von Lehrkräften. Es wird Fortbildungen geben, die zeitnah nicht nur den Startchancen-, sondern allen Schulen geboten werden können. Am Ende werden es nicht die drei Säulen sein, an denen der Erfolg des Programms hängt. Alles darum herum ist entscheidender. Und von diesen Innovationen und Verbesserungen könnten sehr schnell auch viele weitere Schulen profitieren.
Dr. Markus Warnke ist seit 2013 Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung. Zuvor war er im Kinder- und Jugendministerium von Nordrhein-Westfalen sowie als Bundesgeschäftsführer beim Familienbund der Katholiken in Berlin tätig.