Herr Warnke, das Schuljahr endet mit einer katastrophalen Zahlenbilanz. Allein in Berlin fehlen 27.000 Schulplätze, mindestens 700 Stellen für Lehrkräfte sind unbesetzt, jede siebte Unterrichtsstunde fällt mittlerweile aus. Dazu kommt der Gebäudeverfall. Gibt es eine wichtige Statistik, die wir vergessen haben?
Sind Berlin, Bremen oder Nordrhein-Westfalen nur die Brenngläser der Republik, in denen sich allgemeine Missstände deutlicher zeigen?
Gibt es Bundesländer, in denen durch gute Bildungspolitik Erfolge erzielt werden?
Warnke: In allen Vergleichen zwischen den Bundesländern fällt auf, dass sich in Hamburg über die Jahre vieles verbessert hat – bei ähnlicher Ausgangslage wie in der Hauptstadt. Berlin würde ich deshalb empfehlen, viel stärker nach Hamburg zu schauen. Dort läuft vieles sehr viel besser.
Was denn zum Beispiel?
Dr. Markus Warnke, 52,
ist seit 2013 Geschäftsführer der Wübben Stiftung
Bildung in Düsseldorf.
Die Wübben Stiftung
verfolgt das Ziel, den
Bildungsstandort
Deutschland zu stärken, und setzt sich insbesondere für
benachteiligte Schülerinnen und Schüler ein. Warnke ist
studierter Jurist und
arbeitete zuvor im
nordrhein-westfälischen Familienministerium sowie als Bundesgeschäftsführer
beim Familienbund
der Katholiken.
Die meisten Probleme, wie massiver Unterrichtsausfall, hängen mit dem Lehrermangel zusammen. Was wäre Ihr Rezept dagegen?
Sie haben im Herbst 2023 mit mehreren Bildungspolitikern Kanada besucht, das eines der fortschrittlichsten Schulsysteme besitzt. Was hat sie dort am meisten begeistert?
Wie funktioniert das in Kanada?
„In Deutschland passiert es aber allzu oft, dass ein Kind lange Zeit nur etwas auswendig lernt, und Jahre später auffliegt, dass ihm wichtige Grundlagen fehlen.“
Dr. Markus Warnke, Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung
In Deutschland würde solch ein Vorhaben vermutlich am Datenschutz scheitern?
Durch die Schulnoten erfährt jedes Kind doch auch, wo es ungefähr steht.
Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) ermittelt bundesweit alle fünf Jahre für einzelne Jahrgänge, ob die Schüler und Schülerinnen die von der Kultusministerkonferenz vorgegebenen Bildungsstandards erreichen. Diese Daten sind danach nicht weiter zugänglich?
Das alles löst aber nicht das Problem, dass es zu wenig Schulplätze gibt. Ist es denn in so einer desolaten Lage überhaupt machbar, zusätzlich die vielen Flüchtlingskinder zu integrieren?
Mit dem Startchancen-Programm sollen insgesamt 20 Milliarden Euro deutschlandweit an die Schulen gehen, die am schlechtesten dastehen. Sehen Sie das Geld gut investiert?
Wäre es nicht sinnvoll, wenn solche Maßnahmen direkt aus einer Hand von einem Bundesministerium gesteuert werden würden? Würden Sie den Föderalismus abschaffen?
Warnke: Bei den Verhandlungen zu dem Startchancen-Programm ist mir klar geworden, dass es sicherlich nicht besser wäre, 44.000 Schulen in ganz Deutschland von einem Feldherrenhügel aus Berlin zu steuern. Ich finde jedoch, wenn wir den Föderalismus schon haben, dann müssen wir den Wettbewerb, den er uns bietet, auch nutzen. Aber wer übernimmt denn bitte die besten Ideen aus anderen Bundesländern? Warum werden erfolgreiche Unterrichtskonzepte, innovative Ausbildungsformate für Lehrkräfte, der richtige Einsatz neuer Techniken wie der KI nicht kopiert? Warum haben alle verschiedene Datenschutzkonzepte? Hilfreich wäre es, wenn die Qualitätsstandards wirklich auf Bundesebene verbindlich festgelegt werden. Wieso kann es zum Beispiel sein, dass Niedersachsen einfach bei den VERA-Vergleichsarbeiten nicht mehr mitmacht? Kurz, warum macht am Ende doch jeder einfach alles so, wie er gerade will? Die dramatischen Ergebnisse bei den Lernzielen zeigen, dass es nicht so weitergehen kann.
Dieser Beitrag ist exklusiv im Tagesspiegel am 17. Juli 2024 erschienen.
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