Nach Schule sieht es hier nicht aus
Ausgestopfte Vögel und Nagetiere im Eingangsflur weisen den Besucherinnen und Besuchern den Weg ins Haus. Dutzende Backbleche türmen sich im Seminarraum aufeinander, erst tags zuvor war eine Schulklasse hier zum winterlichen Brötchenbacken. Im Sommer geht es raus in Wald und Garten, Tiere, Pilze oder Insekten erkunden. Auf der anderen Seite des Flures, im Klassenraum mit dem digitalen Whiteboard, stand eben noch Mathe auf dem Stundenplan. Jetzt haben die beiden Jungs und das Mädchen Pause, und der 14-jährige Adam (Hinweis der Redaktion: Namen der Kinder geändert) beweist seinem Betreuer Axel Schmidt, dass er auf den Händen laufen kann. Schmidt, von Beruf Schreinermeister und nach einer Weiterbildung jetzt heilpädagogischer Mitarbeiter, schafft zumindest einen respektablen Handstand. Nach Schule sieht das hier nicht aus, und das soll es wohl auch nicht. Die Jugendlichen besuchen die Umweltwerkstatt, ein Projekt für Jugendliche, die regelmäßig unentschuldigt im Unterricht fehlen.




Unterricht, der interessant bleibt
Den Jugendlichen sind diese organisatorischen Details egal. Sie erfahren hier Sinn, eine wertschätzende Behandlung und Zuspruch – und wenn es nur der flauschige Schulhund Paula ist, der sie jeden Morgen dazu bewegt, wieder in der Umweltwerkstatt aufzutauchen. Aber auch der praxisorientierte Unterricht liegt manch einem mehr als die Arbeit mit Heft und Stift. Nach der Pause steht Werken auf dem Plan. Die drei Jugendlichen bauen ein „Vier gewinnt“-Spiel aus Holz. Das haben sie sich selbst ausgedacht. „Wir orientieren uns an den Ideen der Schülerinnen und Schüler, damit der Unterricht interessant bleibt“, erklärt Schmidt und nickt Adam aufmunternd zu, der gerade sorgfältig ein Stück Holz abschleift. „Ich mag es, mit den Händen zu arbeiten“, sagt der Junge.
Vor allem die Bindung an Menschen motiviert die Jugendlichen, weiterzumachen. „Das Wichtigste sind Beziehungen. Sie brauchen eine Person, an die sie anknüpfen können“, sagt Knies. Für die sind viele Jugendliche dann auch bereit, über ihren Schatten zu springen, pünktlich zu sein oder auch mal einen raueren Ton zu akzeptieren. Das sei wichtig für die berufliche Zukunft, sagt Knies. Perspektiven eröffnen sich für die Jugendlichen zum Beispiel als Helferinnen und Helfer bei Dachdeckerbetrieben. Die suchen Leute, die zupacken können – ob mit oder ohne Schulabschluss.
„Das Wichtigste sind Beziehungen. Sie brauchen eine Person, an die sie anknüpfen können“
Christian Knies, Leiter der Heinrich-Neumann-Förderschule


Schreiben lernen in Kleinstgruppen

Und raus an die frische Luft! Bewegungspausen stehen zwischen den verschiedenen Angeboten in der Villa Kunterbunt immer auf der Tagesordnung.

Heute geht es für die IGEL-Gruppe auf den Sportplatz. Hier, am Waldrand, haben sich die Kinder eine Hütte aus alten Paletten zusammengezimmert. „Fünf Arbeiter haben mitgeholfen“, erzählt die siebenjährige Madina stolz und zeigt auf ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, die gerade im Regen Verstecken spielen. Bewegung in den Pausen wird hier großgeschrieben, dann geht es zurück in den streng strukturierten Alltag. „Unser Ziel ist es, die Kinder später in die allgemeinen Schulen zu integrieren“, erklärt Knies.
Kunterbunt ist die alte Villa schon jetzt, doch unter dem Dach sind noch Räume frei. Hier würde Knies gerne eine Intensivgruppe für ältere Schülerinnen und Schüler einrichten, die durch Drohungen oder Gewalt aufgefallen sind. „Jugendlichen, die sonst ganz durchs Raster fallen, können wir bislang kein gutes Angebot machen“, sagt er. Ein bis zwei Unterrichtsstunden täglich, dann intensiv auf ein Praktikum hinarbeiten – so etwas schwebt dem Schulleiter vor. Solche Modelle finden sich in keinem Bildungsplan, man muss sie erfinden. Knies: „In der Bildung gibt es oft diese Grenzen im Kopf, das haben wir hier nicht.“