Schulraum

Einst Bibliothek, jetzt Selbstlernzentrum

Vom Rohbau zum beliebten Lernort: Das Hannah-Arendt-Gymnasium in Krefeld erschuf seine eigene „Study Hall“. Dabei packten viele mit an – Lehrkräfte wie Schülerinnen und Schüler.

Kalt, farblos und trist: So beschreibt die Koordinatorin des Selbstlernzentrums am Hannah-Arendt-Gymnasium in Krefeld, Melanie Wilms, die ehemalige Bibliothek der Schule. Ein langer Raum, die Wände zugestellt mit Bücherregalen, in der Mitte ein paar Tische und Stühle. Wenig einladend habe das gewirkt, immer seltener ließen sich Kinder dort blicken. Nach der Teilnahme einiger Lehrkräfte am Programm „Klasse!Digital“ – ein Projekt zur Unterstützung von Lehrkräften bei der Schul- und Unterrichtsentwicklung des NRW-Ministeriums für Schule und Bildung, der Wübben Stiftung Bildung und von RuhrFutur – stand die zündende Idee schnell fest: Die Bibliothek wird zur Study Hall!

Vorher: Kalter Boden, zugestellte Wände, typische Klassenzimmermöbel – die alte Bibliothek der Schule wirkte wenig einladend.
Nachher: Teppichboden, luftige Einrichtung, gemütliche Rückzugsmöglichkeiten – die neue Study Hall ist ein Raum, in dem man sich gerne aufhält.
„Während der Coronapandemie haben wir festgestellt, dass viele unserer Schülerinnen und Schüler zu Hause keinerlei Raum zum Lernen zur Ver­fügung haben. Da wurde uns sehr deutlich, dass Chancengleichheit nicht gegeben ist“, berichtet Lukas Trettin, der am Hannah-Arendt-Gymnasium Deutsch, Geschichte und Religion unterrichtet. Gleichzeitig hatte das Kollegium schon länger eine gewisse „Konsumhaltung“ unter Schülerinnen und Schülern wahrgenommen, die Lehrkräfte als „Dienstleistende“ zu betrachten schienen und Eigeninitiative vermissen ließen.
Lehrer Lukas Trettin ist froh über die Study Hall. Die Möglichkeit, an einem ruhigen Ort lernen zu können, betrachtet er als Chance für viele Schülerinnen und Schüler.
Buch in die Hand, Tablet auf den Schoß – in den coolen Lesenischen lernen und chillen die Schülerinnen und Schüler gerne.

Ein Selbstlernzentrum – viele Vorteile

Das neue Selbstlernzentrum sollte beiden Beobachtungen etwas Positives entgegen­setzen: Kindern einen inner­schulischen Lernort bieten, in dem sie unabhängig vom Elternhaus arbeiten können, und zugleich das eigenständige Lernen fördern. Denn Selbstlernzentren sorgen nach Über­zeugung von Schul­­entwicklungs­expertinnen und -experten für mehr Bildungs­gerechtigkeit, verhelfen Lernenden zu mehr Selbstständigkeit und schaffen Raum für selbstorganisierte Lernformen außerhalb des Klassen­zimmers. Gemeinsam mit 14 anderen weiter­führenden Schulen in ähnlich heraus­fordernden Lagen – das Hannah-Arendt-Gymnasium ist eines von nur drei Gymnasien in NRW mit Sozialindex 9 – entwickelten Wilms und Trettin gemeinsam mit ihrem Kollegen Dennis Simon erste Ideen für die Umsetzung der Study Hall. Anregungen lieferten Besuche an anderen Schulen, die das Konzept schon umgesetzt hatten. Zusätzlich gab es Unterstützung von Schul­entwicklungs­beraterinnen und -beratern mit Expertise in Sachen Schulbau. Wie die neuen Räume konkret aussehen sollten, durfte eine Gruppe aus zehn Schülerinnen und Schülern in einem Workshop mit­entscheiden. Ihre Wünsche: Gemütlich sollte das neue Selbstlernzentrum sein, bequem und ruhig. Vor allem aber dürfte es möglichst wenig an einen gewöhnlichen Klassenraum erinnern. Eine zweite Ebene im Raum und weich gepolsterte Lese­nischen, in die sich die Kinder zurück­ziehen können, sollten ebenso dazu­gehören wie Bücherregale, runde Tische und Computerarbeitsplätze.

Von eigener Hand etwas Neues schaffen

Als der Beschluss zur Umgestaltung der Bibliothek in der Lehrerkonferenz gefasst war, schritt ein eigens in der Jahrgangs­stufe Q1 gegründeter Projektkurs zur Tat. Die Schülerinnen und Schüler schleppten gemeinsam mit ihren Lehrkräften und Melanie Wilms die alten Möbel raus, stemmten Fliesen von der Wand und versetzten die beiden neben­einander­liegenden Räume in den Rohbauzustand. Am Computer und auf großen Papierbögen designten die Jugendlichen anschließend Möbel und entwarfen Konzepte, wie sie diese in den Räumen platzieren könnten. Aus den Tiefen des Kellers förderten die Jugendlichen im Laufe eines Schul­jahres unzählige alte Tische und Regale zutage, die sie in aufwendiger Hand­arbeit in ein Podest mit Stufen, Sitzbänke und Lesenischen ver­wandelten. Die hand­werklichen und kreativen Aufgaben erwiesen sich für den Projektkurs aus Sicht von Trettin als äußerst bereichernd. Denn die Jugendlichen schufen von eigener Hand etwas ganz Neues, Bleibendes. Nebenbei eigneten sie sich hand­werkliche Fähigkeiten an und lernten viel über Raumgestaltung.
Ein Schach­brett­spiel gehört ebenfalls zum Inventar der Study Hall. Spiel, Konzentration – Auszeit vom Unterricht!

Melanie Wilms war Mitinitiatorin der Study Hall. Dafür schaute sich ein kleines Team in anderen Schulen um, bildete sich fort, brachte alles ins Rollen.

Das Hannah-Arendt-Gymnasium nutzt Mittel aus Säule 1 des Startchancen-Programms, um auch an seinem zweiten Standort schöne Räume zu gestalten.
Die Kosten des Projektes beliefen sich dank des umfassenden „Upcyclings“ auf weniger als 5.000 Euro, die die Schule selbst stemmte. An seinem zweiten, 700 Meter entfernten Standort plant das Hannah-Arendt-Gymnasium ebenfalls ein Selbstlernzentrum, allerdings mit weniger Eigenarbeit. „Ausgehend von unseren guten Erfahrungen möchten wir weitere Bereiche in unseren Schulgebäuden umgestalten, um eine angenehme Lern­atmosphäre zu schaffen und das eigen­verantwortliche Arbeiten zu fördern“, erzählt Schulleiter Hans-Jörg Richter. Dazu möchte die Schule Mittel aus Säule 1 des Startchancen-Programms nutzen, die für die Ver­besserung der schulischen Infra­struktur vorgesehen sind.

Beliebter Ort, vielfach genutzt

Das neue Selbstlernzentrum wird indessen intensiv genutzt. Lehrkräfte schicken Schülerinnen und Schüler während des Unterrichts für Projekt­arbeiten hinunter. Dürfen Kinder nicht am Sportunterricht teilnehmen, können sie in der Zeit selbstständig lernen. Wer etwas im Internet recherchieren möchte, erledigt das an einem der vier Rechner. Nach dem Unterricht nutzen viele Kinder die Räume zum Bearbeiten der Hausaufgaben, zum Lesen, für Brettspiele oder eine Partie Schach. Melanie Wilms oder eine Kollegin behalten die Räume dabei stets im Blick. Einschreiten müssen sie selten: Die Kinder wissen die gemütliche Atmosphäre zu schätzen und halten Regeln wie gegenseitige Rücksicht­nahme meist freiwillig ein. Sogar die Schuhe ziehen sie aus, wenn sie sich in die weich gepolsterten Lesenischen sinken lassen. Dabei gibt es dafür gar keine Regel.
Früher, in der alten Bibliothek, ließ sich selten jemand blicken. Heute kommen die Schülerinnen und Schüler gern, um hier zu lernen und sich auszutauschen.
  1. Vision entwickeln
    (Ziele formulieren)
  2. Informieren
    (Konzepte studieren, an anderen Schulen hospitieren)
  3. Beschließen
    (Schul­gemeinschaft einbeziehen)
  4. Projektgruppe bilden
    (formale Beauftragung)
  5. Anforderungen festlegen
    (Workshop mit Schülerinnen und Schülern)
  6. Bestandsanalyse
    (ungenutzte Räume und Möbel identifizieren)
  7. Einrichtung planen
    (Lernende beteiligen)
  8. Sponsoring starten
    (Förderprogramme checken)
  9. Raum gemeinsam gestalten
    (gemeinsame Aktionen starten)
  10. Betreuung organisieren
    (kreative Lösungen suchen)
  11. Buchungssystem etablieren
    (z. B. Einbindung in Schulserver)
  12. Regeln aushandeln
    (Umgang mit Regelverstößen planen)
  13. Eröffnungsfest feiern
    (Study Hall sichtbar machen)
  14. Inbetriebnahme
    (Nutzungsverhalten dokumentieren)

Ergänzende Tipps von Lukas Trettin:

„Meine wichtigsten Tipps für die erfolgreiche Umsetzung einer Study Hall: Es ist gut, wenn sich zu Beginn eine kleine Gruppe findet, die sich auf den Weg macht. Irgendjemand muss anfangen. Während der Bauphase ist es wichtig, das Kollegium mit Erfolgsberichten auf dem Laufenden zu halten.“

2 Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


… im Postfach

Abonnieren Sie unseren wöchentlichen Newsletter mit den besten Geschichten.

Das könnte Sie auch interessieren:

Bitte beachte unsere Netiquette.

Auf SchuB möchten wir den fachlichen Austausch der Schulen im Brennpunkt untereinander fördern. Daher freuen wir uns sehr über Eure Meinung zu unseren Beiträgen. Für einen respektvollen und konstruktiven Austausch bitten wir Euch folgende Regeln zu beachten:
Wir danken Euch für Eurer Verständnis und Eure Mitwirkung und wünschen Euch viel Freude beim Kommentieren.

Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden?

Bitte aktiviere JavaScript in deinem Browser, um dieses Formular fertigzustellen.
Wie sind Sie auf uns Aufmerksam geworden